Warum in die Ferne schweifen?

Kräuter, Blätter, Blüten, von der Wiese auf den Teller

Das Restaurant NOMA in Dänemark, jahrelang als das beste Restaurant der Welt ausgezeichnet, hat den Trend salonfähig gemacht: Schlichte Pflanzen aus der unmittelbaren Region werden zu Sternegerichten. Aber auch ohne gleich zum Spitzenkoch zu werden, ist es faszinierend, was sich so alles Essbares und Leckeres wortwörtlich am Wegesrand findet. Wir haben uns für Sie einmal auf Kräuterwanderung am Ammersee begeben.

Früher war es ganz normal, regionale Pflanzen in der Küche zu verarbeiten. Die zunehmende Verstädterung und damit einhergehende Entfremdung von der Natur hat aber dazu geführt, dass wir Essbares eigentlich nur noch im Supermarkt oder vielleicht noch am Wochenmarkt suchen. Beeren, Obst und Gemüse gibt es zwar vielleicht im eigenen Garten, aber: Was macht man eigentlich mit Gänseblümchen, mit Birkenblättern, mit Mädesüß oder mit dem Wiesenbärenklau – und wie sehen die beiden letzteren überhaupt aus?

Von Salaten und Bitterstoffen

Wir finden jedenfalls schon zwei Straßenecken vom Bahnhof entfernt die ersten „Leckereien“. Auf einem Stück Vorgarten (den wir natürlich nicht betreten) wachsen nebeneinander Großer Ampfer, die weiße Lichtnelke, der gelbe Rainkohl und Löwenzahn. „Früher hat man den Kindern gesagt, Löwenzahn sei giftig – aber das war nur eine Ausrede, damit sie sich nicht mit der Milch in den Stängeln bekleckern, denn diese Flecken bekommt man nie mehr heraus“, erklärt Caroline Deiß. „Vom Löwenzahn ist alles essbar, die gelbe Blüte, der Stängel und die weiße Wurzel. Letztere röste ich und mache Kaffee daraus. Der schmeckt wie Caro-Kaffee und hat natürlich kein Koffein, ist aber eine tolle Alternative.“

Die Natur ins eigene Leben lassen

Heute hat sie zwei Berufe, sie ist Kräuterexpertin und Privatlehrerin für Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik. Und Letzteres ist gar nicht so erstaunlich, wenn man weiß, dass sie Wirtschaftsmathematik studiert und zehn Jahre lang im Finanzmarkt gearbeitet, zuletzt ein Finanzunternehmen in München geleitet hat. Doch diese Branche wurde ihr zu trocken. Also beschloss sie, ihr Hobby zum Beruf zu machen: die Kräuter, die sie in ihrer hessischen Heimat schon als Kind durch ihre Tanten kennen und lieben gelernt hatte. „Und am ersten Tag, an dem ich meinen alten Job abgeschlossen hatte, war meine jahrelange Neurodermitis verschwunden. Ich lebe jetzt das Leben, das ich wirklich leben will und habe die Natur hineingelassen“, erzählt sie und bei ihr klingt das auch einfach logisch. Aber zurück zu den Kräutern. In der nächsten Stunde gehen wir einen ganz normalen Weg in Richtung Ammersee entlang und finden mit der Hilfe unserer Kräuterexpertin über fünfzig Kräuter, Beeren und Blüten. Im Folgenden nur ein paar Beispiele:

Von deutscher Vanille und Brennnesseln

Mädesüß, auch die deutsche Vanille genannt:

Nimmt man die zarten weißen Blüten und legt sie über Nacht in flüssige Sahne, die man nächsten Tag aufschlägt, hat man ein „Suchtmittel“ produziert.

Johanniskraut,

das man im Zweifel daran erkennt, dass ein rötlicher Saft austritt, wenn man die Blüten zwischen den Fingern zerreibt, wird auch in der Pharmakologie gegen Depressionen und Müdigkeit eingesetzt.

Wiesenbärenklau

 – nicht zu verwechseln mit dem Riesenbärenklau, der oft an Autobahnen wächst und über zwei Meter hoch wird – hat der Sage nach schon Herkules Bärenkräfte verliehen. Seine Blüten schmecken zum Beispiel prima über Hüttenkäse-Kräcker gestreut, aber auch die Blätter können bestens als Gemüseeinlage in einer vegetarischen Lasagne verwendet werden.

Fast alles ist essbar

Caroline Deiß kennt all diese Antworten …

… und lädt zwischen April und September zu Kräuterwanderungen in der Region München ein – und auch gleich zu entsprechenden Kochkursen. Im Herbst 2018 hat sie das Kochbuch „Die Magie der Wildkräuter“ herausgebracht. Bei ihr sind wir also richtig. Treffpunkt ist am Bahnhof Herrsching und schon vor dem Start lernen wir die erste Lektion: Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, bei Blättern, Blüten und Kräutern auf Giftiges zu stoßen, deutlich geringer ist als bei Pilzen: „Sammeln Sie nur, was Sie identifizieren können“, ermahnt uns Caroline Deiß. Dazu ist eine Kräuterwanderung eine Möglichkeit. „Sie können sich aber auch über zwei sehr gute Online-Portale gut informieren. Das ist zum einen www.blumeninschwaben.de und www.arzneipflanzenlexikon.de. Und wenn Sie ein Buch auf Ihre nächsten Wanderungen mitnehmen möchten, empfehle ich „Was blüht denn da“, erschienen im Kosmos Verlag, da finden Sie über 1.500 Fotos und Sie können die Pflanzen nach Farben nachschlagen.“ Nicht notwendig ist es allerdings, geheime Plätze zu finden oder kilometerweit in besondere Regionen zu wandern.

Gleich daneben steht eine Birke, …

… aus deren Blättern man einen wunderbaren Salat machen kann (allerdings eher im Frühjahr, wenn sie noch hellgrün sind). Das trifft übrigens auf sehr viele Baumblätter zu. Und zum Thema: „Schmecken die nicht leicht bitter?“ erklärt Caroline Deiß eine erstaunliche Entwicklung: „Bitterstoffe sind für unsere Verdauung eigentlich sehr förderlich – und außerdem sorgen sie dafür, dass man schneller satt wird.“ Da aber viele Menschen „bitter“ nicht mögen, wurden alle Gemüse, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit bitter schmeckten, so gezüchtet, dass sie milder, süßer wurden. Denken Sie mal an Endiviensalat oder grüne Paprika aus Ihrer Kindheit und probieren Sie die heute. „Das führt dazu, dass wir immer größere Portionen essen und trotzdem lange nicht satt werden. Nur die Food-Industrie profitiert davon natürlich“, kritisiert die Kräuterexpertin, die sich mit diesem Beruf übrigens selbst geheilt hat.

Aber es muss auch gar nicht so „exotisch“ sein. Ganz normale Brennnesseln sind wahre kleine Wunderwerke.

Will man sie essen, muss man sie zwar ein bisschen vorbehandeln – es sei denn, man stört sich nicht am leichten Brennen im Mund. Also die Blätter entweder zwischen zwei Küchenpapieren mit dem Nudelholz gut walzen, sodass die feinen Brennhaare brechen und ihre Wirkung verlieren, oder die Blätter in sehr feine Scheiben schneiden, das hat denselben Effekt. Oder man röstet sie einfach kurz in Olivenöl an. Und wer die Blätter in Olivenöl ausbäckt, hat Gemüsechips, für die man gerne mal die klassische Kartoffelvariante stehen lässt.

Wie schon oben erwähnt, gibt es von Caroline Deiß …

… auch ein Kochbuch mit leichten Rezepten, in denen sie viele der heute gefundenen Kräuter verwendet.

Und einen Wildkräutersalat kann man sich auch ganz schnell zusammenstellen. Das Dressing? Ganz normal, gerne mit ein wenig Joghurt oder Quark darin. Vor allem aber geht man nach einer solchen Kräuterführung – es gibt sehr unterschiedliche in der Region München – ganz anders über Wege und Wiesen. Und die Wintermonate kann man ja nutzen, um sich auf die nächste Saison ein bisschen einzustellen und dann sofort zu erkennen, was man ab dem Frühjahr wieder in den Salat mischen, zu Saft verarbeiten oder überhaupt in den Speiseplan aufnehmen kann. Oder man bucht doch noch mal eine Kräuterwanderung, die neben Caroline Deiß auch Kolleginnen aus der ganzen Region rund um München anbieten.