Das wahre Schöne

Wabi Sabi ist mehr als ein Einrichtungstrend. Verwurzelt im Zen-Buddhismus, ist es eine ganzheitliche Suche nach der inneren und materiellen Schönheit.

„Wabi Sabi nährt alles, was authentisch ist, da es drei einfache Wahrheiten anerkennt: Nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt.“

Der amerikanische Autor Richard R. Powell bringt es auf den Punkt

Der Begriff wurde bereits im 16. Jahrhundert von einem japanischen Zen-Mönch eingeführt. Ursprünglich bedeutet „Wabi“, sich elend, einsam und verloren zu fühlen. Dies wandelte sich zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. Aber erst in der Verbindung mit „Sabi“, alt sein, Patina zeigen, über Reife verfügen, entstand die eigentlich nicht übersetzbare Begriffseinheit, die den Maßstab der japanischen Kunstbewertung bildet. Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Der bemooste Fels, das grasbewachsene Strohdach, die knorrige Kiefer, der leicht verrostete Teekessel – das und Ähnliches sind die Symbole dieses Schönheitsideals. Es geht um die Hoheit, die sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbart. Es geht also um die Ästhetik des Unperfekten, eine Absage an die sterile Moderne und ihre industrielle Gleichförmigkeit.

So ist Wabi Sabi im Interiorbereich ein Ausdruck des völlig individuellen Wahrnehmens, Gestaltens und Einrichtens.

Dabei handelt es sich nicht um einen klar definierten Stil, sondern um eine Geisteshaltung, die auf das Wohnen abfärbt, wenn man die Grundsätze dieser Philosophie auf sein materielles Handeln überträgt: kein gedankenloser Konsum und Rückkehr zur Natur, Konzentration aufs Wesentliche, einfache Produkte und hochwertige Naturmaterialien, die Pflege und das Weitergeben altgedienter Dinge und vor allem der Genuss befreiender Leere. Man wird in keinem Einrichtungshaus WabiSabi-Produkte finden, sondern man sollte aus innerer Einkehr seinen ganz persönlichen Stil entwickeln. Es geht um einzelne Lieblingsobjekte, um haptische Stoffe und beruhigendes Farbklima, die in Kombination wirken sollen. Eine Schale mit einem Sprung, die man auf einem Flohmarkt gefunden hat, verfügt unter Umständen über eine höhere Wertigkeit als jedes teure Designerobjekt. Weniger ist mehr und das Abschaffen des Unnötigen ist nichts Negatives, wenn es als Befreiung vom Unnützen empfunden wird. Klassischer Ausdruck der Wertschätzung des solitären Objekts ist die japanische Teetasse. Patina, organische Form und nicht perfekte Formen sind der Maßstab für ihren Wert. Es ist ein lebendiges Objekt, das nicht für die Vitrine, sondern für den täglichen Gebrauch in spiritueller Konzentration geschaffen wird. Dazu gehört ein puristisch eingerichteter Raum, der dem Geist Platz lässt und das Auge nicht durch ungeordnete Fülle ablenkt. Hier findet das viel beschworene „Loslassen“ seinen Ausdruck.

Das heißt aber nicht, dass man auf Behaglichkeit verzichten muss

Mit vielfältigen Stoffen in Naturfarben und -materialien schafft man Atmosphäre, und organischer Materialmix aus gefundenen Holzstücken, von Hand geformten Keramiken oder pittoresken Korbwaren kann man zu überraschenden Stillleben kombinieren, die durch Möbel in einfachen Formen den richtigen Rahmen bekommen. Dazu gehört ein warmes Farbklima bei der Wandgestaltung in Sand- oder gedeckten Pastelltönen. Es kann dauern, bis man seinen ganz eigenen Gestaltungswillen entwickelt hat. Ein wenig „try and error“ ist dabei kein Makel. Im Gegenteil, denn so wie das Leben, ist das Werden des individuellen Lebensraums eine Reise. Wir erinnern uns: „… Nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt.“ Es gilt, die kleinen Dinge des Alltags schätzen zu lernen, die Schönheit des Beiläufigen zu entdecken und in der Schlichtheit Schönheit zu sehen. Anfassen und benutzen, nicht ausstellen und durchstylen ist das Credo des Wabi Sabi. Nutzen und Ästhetik sind eins, sind nicht zu trennen.

Dies kann man auch außerhalb der eigenen vier Wände erleben, …

… wie in der Location „Wabi-Sabi-Shibui“ in der Ludwigstraße 11 in München:

Concept Store, Bar und Restaurant rund um dieses japanische Lebensgefühl, direkt von entsprechenden Spots in Tokyo inspiriert. Klaus Rainer, der als Betreiber der „Goldenen Bar“ bekannt ist, hält in diesen Räumen entsprechend der Wabi-Sabi-Philosophie alles einfach. Man kann nicht anrufen und reservieren. Wer kommt, erhält einen Platz und kann ganz besondere Kreationen erleben, wie den Saketini aus Wermut und Sake, der in einem Holzkästchen serviert wird, in dem zwei rohe Gamba-Spießchen schwimmen. Die Krustentiere stammen natürlich aus lokaler Produktion. Dazu gibt es im Store Geschirr, Zeitschriften und vieles mehr zu kaufen. Die Speisekarte wechselt ständig, und Drinks, deren Limettenzesten auf Rochenhaut gerieben werden, findet man wohl nur hier. Ein perfekter Ausdruck für das, was Wabi Sabi bedeutet: gelebte Tradition mit Wertschätzung des manchmal überraschenden Objekts. Dabei bleibt die Zeit nicht stehen. Und ob es ein Barkeeper oder ein Interior-Addict ist – wichtig ist die eigene Kreation in spiritueller Klarheit mit Wertschätzung der natürlichen Ressourcen. Dann findet die Suche nach Schönheit ihr Ziel.