Vor Anker bei den Winzern

Bei einer Weinkreuzfahrt im Mittelmeer mit dem SeaDream Yacht Club lassen sich edle Tropfen, spannende Winzer und exklusive Weingüter auf eine besonders angenehme Weise kennenlernen. Der Service auf dem maximal 112 Passagieren Platz bietenden Schiff ist dabei so legendär wie immer, getreu dem Motto der Reederei: „It‘s yachting, not cruising!“

Andrea ist müde.

Es waren wir, die ihn müde gemacht haben. Der beste Barkeeper der Welt, groß geworden in Bologna, schaut traurig aus verquollenen Augen. Es war etwa gegen 1:00 Uhr morgens, als wir an der „Top of the Yacht Bar“, Andreas Arbeitsplatz und Reich, einen letzten Dirty Martini bestellen wollten. Doch dann kamen diese beiden Pärchen aus Rio de Janeiro. Und sie fragten mit einem leichten Vorwurf in der Stimme: „Warum tanzt Ihr nicht?“ Ja, und dann haben wir getanzt. Und gesungen. Und weiter getrunken. Auch Andi. Und sein Kollege Carlos aus Lissabon. Der musste quasi bleiben. Als Übersetzer, weil die Brasilianer nicht so richtig viel Englisch verstanden. Als ich Stunden später in meine Kabine zurück wankte, dämmerte bereits der Morgen, am Horizont sah ich die Konturen der Küste Süditaliens, aber ich sah sie leicht verschwommen.

Jetzt sitze ich beim Frühstück an Deck, …

… der Allgemeinzustand lässt noch zu wünschen übrig. Goran, mein aus Pula in Kroatien stammender Kellner, hat natürlich längst mitbekommen, dass es gestern – oder heute? – etwas länger gedauert hatte. Während er sonst gerne einen Scherz macht und ein Gespräch sucht, lässt er mich jetzt in Ruhe und serviert wortlos, was mich wieder auf die Beine bringen wird: frischgepressten Orangensaft, einen starken Cappuccino mit zwei Espressi und frisch gehobelten Schokospänen auf der Crema, zwei Eier overeasy, kein Speck, kein Toast, etwas Obst: frische Maracujas, Mangos und Litschis. Er hat sich das gleich am ersten Tag gemerkt. Überhaupt kannten er und alle anderen Crew-Mitglieder von Beginn an meinen Namen. Woher eigentlich? Dazu legt er eine kleine Zeitung mit deutschen Nachrichten auf den Tisch, eigens für die Passagiere der SeaDream II zusammengestellt. Als ich aufstehe, um mir etwas Räucherlachs zu holen, schnappt mir Goran den Teller weg und trägt ihn zu meinem Tisch: „Mr. Kast, das ist heute zu schwer für Sie“, sagt er mit dem freundlichsten Lächeln seit der Erfindung der Kreuzfahrt.

Ich bin erst zwei Tage an Bord der SeaDream II, …

… nicht einmal ein Drittel der Reise von Civitavecchia nach Piräus, von Italien nach Griechenland, liegt hinter mir. Und doch fühle ich mich an Bord schon wie zu Hause. Was allerdings nicht so sehr verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass unser Kahn maximal 112 Passagiere beherbergt, um die sich 95 Crew-Mitglieder kümmern. Und zwar rührend kümmern, 24/7, zu jeder Tages- und Nachtzeit, notfalls mit Körpereinsatz und Nachtschichten, siehe Andi und Carlos. Das Beste aber: Meine Woche auf dem Schiff ist nicht ausgebucht. Wir sind nur 59 Gäste! Und das kommt dann schon ziemlich nahe an den Slogan der norwegischen Reederei heran: „It‘s yachting, not cruising!“

Eigentlich mag ich solche Werbesprüche ja nicht.

Was ich wirklich möchte, ist eine eigene Yacht. Ja, ich gebe es gern zu: Ich hätte gern eine eigene Yacht, und sie dürfte ruhig etwas größer sein. Eine wie die Eclipse, das schneeweiß glänzende, schwimmende zweite oder dritte Zuhause des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch. 2009 vom Stapel gelaufen, 162,5 Meter lang, 800 Millionen Euro teuer. Ich schaue mir auf www.marinetraffic.com immer an, wo sie gerade liegt oder unterwegs ist. Das funktioniert auf der Website auch mit Fischkuttern und Frachtkähnen, macht aber deutlich weniger Spaß. 800 Millionen, das ist natürlich ein Tick zu teuer. Ich habe mir deshalb Mietyachten angesehen wie die Solandge. 85 Meter, jeder kann sie chartern, sofern er liquide ist. Aktuell: gut 90.000 Euro pro Woche, exklusive Treibstoff, Trinkgeldern für die Crew, Hafengebühren und anderem Kleinkram. Nun ja, auch noch nicht ganz meine Preisklasse. Andererseits ... Riesenkähne für 2.000 und mehr Passagiere sind so gar nicht mein Ding. Und Segelyachten mag ich nicht, weil man sich irgendwo immer den Schädel anhaut und alles doch recht beengt ist. Außerdem wird höchst selten richtig gesegelt. Meistens tuckert der Motor, weil der Wind mal wieder aus der falschen Richtung oder gar nicht bläst.

Und deshalb bin ich mit meinem Aufenthalt an Bord der SeaDream II sehr, sehr zufrieden.

Er kommt meinem Traum von der Yacht, ohne diese besitzen und bezahlen zu müssen, schon sehr nahe. Vor allem hat sich SeaDream etwas Neues einfallen lassen. Es gibt seit Sommer 2016 erstmals Weinreisen. Das bietet sich an, denn zwischen Juni und Oktober cruisen die beiden Yachten SeaDream I und SeaDream II im Mittelmeer, wo es sich gar nicht vermeiden lässt, dass man in die Nähe berühmter Weinbaugebiete kommt. Im Herbst geht es dann wieder über den großen Teich in die Karibik, wo Rum-Tastings natürlich besser passen würden. Vielleicht wird das ja das nächste große Thema, schließlich ist Rum das neue Kultgetränk, der neue Gin sozusagen. 

Sieben solcher einwöchigen Weinreisen hat SeaDream auch 2017 wieder angeboten, …

… bei denen sich nicht alles, aber vieles um edle Tropfen drehte. „Einen Ort lernt man am besten durch Einheimische, Essen und Wein kennen“, meint Bob Lepisto, Präsident des SeaDream Yacht Clubs. Inkludiert im Preis ist das bei SeaDream übliche Allinclusive-Angebot, das unter anderem (fast) alle Getränke und Speisen an Bord, zahlreiche Aktivitäten sowie Trinkgelder enthält. Dazu gibt es bei den Weinreisen aber noch viele Extras, teilweise gegen Aufpreis: Weinproben und Vorträge an Bord, Landausflüge zu Weingütern, spezielle Wine Pairings zu ausgesuchten Abendmenüs, ein Winzerdinner und die Betreuung durch eine „Weindirektorin“, die SeaDream extra dafür eingestellt hat. 

Das alles klingt sehr engagiert und nachhaltig …

… und nicht nur nach einer flüchtigen Marketing-Idee, weil mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden muss. Natürlich, auch andere Reedereien hatten sich schon auf vergorenen Traubensaft fokussiert. Weinproben gibt es auch auf den Aida-Dickschiffen. Und Themen-Kreuzfahrten haben eben generell Konjunktur. Kein Hobby, kein Steckenpferd wird da ausgespart. Aber es ist natürlich ein gewisses Risiko, so gezielt auf Wein zu setzen und den Rebensaft zum roten Faden, zum Thema einer ganzen Reihe von Reisen zu machen. Denn nicht jeder ist ein Weinliebhaber und -kenner. Da gibt es vielleicht Hemmschwellen zu überwinden, wenn man eine eloquente Degustationsnotiz vor versammeltem Publikum vortragen soll, noch dazu in Englisch, der Bordsprache.

Eine weitere Herausforderung:

Bei parallel stattfindenden Landausflügen muss man sich für oder gegen den Wein entscheiden, so wie wir jetzt: zwischen einem Besuch der Ruinen von Pompeji nahe Neapel und einer Visite der Azienda Vinicola Sorrentino, wo man den legendären „Vigna Lapillo“ Lacryma Christi kosten könnte. Unsere neuen Freunde aus Rio und einige der nordamerikanischen Gäste entscheiden sich natürlich für Pompeji – schließlich sind sie zehn Stunden und mehr im Flieger gesessen, bis sie endlich in „Old Europe“ ankamen. Da will man sich so ein kulturelles Highlight nicht entgehen lassen, was mehr als verständlich ist. Leider kommt aber deshalb die Mindestteilnehmerzahl für den Besuch des Weinguts nicht zustande, was natürlich auch daran liegt, dass wir nur 59 Gäste an Bord sind. Wie sagen die Brexit-Briten: „You can’t have the cake and eat it!“ Okay, gehen wir eben hoch zu Andi an die Bar. Die Kopfschmerzen sind verflogen und eigentlich spricht nichts gegen einen leichten Longdrink. 

Vielleicht muss man das einfach locker sehen: Bei einer Luxury Cruise geht es ja auch ums Loslassen, die Selbstbelohnung und das Vergnügen. Nicht jede Reise muss eine (Wein-)Bildungsreise sein. Weil ich aber eben doch ein neugieriger Mensch bin, melde ich mich in Capri für den Besuch der berühmten Blauen Grotte an. Um es kurz zu machen: Für 89 US-Dollar dreht man mit einem schlecht gelaunten Bootsmann ein oder zwei Runden in der zugege- benermaßen schön illuminierten Grotte. Das Ganze ist nach fünf Minuten vorbei. Eine Touristenfalle par excellence. Und ich Reiseprofi bin darauf hereingefallen. Selber schuld! Zum Trost melde ich mich nachmittags für das (kostenlose) Wassersportprogramm an: Am hinteren Ende der Yacht wurde die „Heckklappe“ heruntergelassen und es stehen tolle Spielsachen bereit: Jetskis, ein Motorboot mit Wasserskiausrüstung, SUP-Boards, Seekajaks und ein sogenanntes „Banana Boat“. Auf diesem roten Gummiteil können bis zu vier Leute Platz nehmen und sich von einem Motorboot so schnell ziehen lassen, bis alle kopfüber ins Wasser purzeln. Ich entscheide mich jedoch für den Jetski. Denn ich habe in etwa einem Kilometer Entfernung eine große Privatyacht entdeckt, an die ich mich etwas näher heranpirschen möchte. Vielleicht wäre die ja was für mich? Die Wassersport-Crew schüttelt jedoch den Kopf: „Bitte in Sichtweite bleiben. Bitte hinter dem Schiff fahren. Und möglichst nicht mit dem Jetski andere Wasserfahrzeuge rammen.“ Sicherheit geht vor, ich hab’s verstanden. Muss ich mir die Privatyacht wohl ein andermal anschauen.

Am nächsten Tag macht die Crew langsam Ernst mit dem Thema Weinreise.

Die SeaDream II schaukelt sanft in den Wellen in der Bucht vor Taormina. Die dahinterliegenden Hügel Siziliens und der alles überragende Ätna werden vom weichen Licht des frühen Abends umschmeichelt. Die Gäste der Yacht haben es sich rund um den Pool bequem gemacht, genießen den Blick auf die Fischerboote und das Treiben an Land. Es ist der perfekte Augenblick für einen Sundowner oder „Bubbles“, einen guten Schluck Champagner. Doch Salvino Benanti soll den Passagieren Geschmack auf etwas anderes machen, auf die Weine seiner Familie. Und deshalb wechselt er jetzt in den klimatisierten Salon, wo er für seine Verkostung bereits alles vorbereitet hat. Die Gäste folgen ihm etwas träge und zögerlich. Nein, einen leichten Job hat Salvino Benanti da nicht übernommen. 

Eine halbe Stunde später vermisst niemand mehr einen Cocktail.

Denn der charismatische Winzer versteht es, spannend und in perfektem Englisch die Geschichte seiner Familie zu erzählen und ganz nebenbei seine ausdrucksstarken Weine zu präsentieren. Die Cantina Benanti wird heute von Salvino und seinem Zwillingsbruder Antonio (41) geführt. Doch der Meister im Hintergrund ist noch immer der Vater, Dr. Guiseppe Benanti (70), der eine der größten Pharmafirmen Italiens aufgebaut und damit die finanzielle Basis für die entspannte Beschäftigung mit dem Wein geschaffen hat. Seine Familie besaß zwar seit dem späten 18. Jahrhundert Reben, doch so richtig professionell stieg sie erst 1988 in das Geschäft mit dem Wein ein. Als die Zwillingssöhne aus dem Ausland zurückkehrten – sie lebten als Unternehmensberater und Investmentbanker in London und Zürich –, hatten diese einen überzeugenden Plan im Gepäck: Mit traditionellen sizilianischen Rebsorten wie der weißen Carricante-Traube, dem stark tanninhaltigen Nerello Mascalese und dem weicheren und fruchtigeren, an Negroamaro oder Primitivo erinnernden Nerello Cappuccio wollten sie international anerkannte Weine keltern. Nur drei von 120 Weingütern am Ätna trauen sich, ausschließlich auf diese lokalen Rebsorten zu setzen. Die Benantis verzichten außerdem auf den Ausbau in Holz.

Inzwischen wird niemand mehr bestreiten, dass sie damit Erfolg haben.

Der Gambero Rosso kürte die Cantina Benanti 2007 zu Italiens Weingut des Jahres, das USMagazin „Wine & Spirits“ nahm sie in seine weltweiten Top 100 auf, vom „Wine Spectator“ und vom „Decanter“ gibt es regelmäßig Lob und Auszeichnungen. Dazu exportieren die Benantis ihre Flaschen in die halbe Welt und sind auch finanziell erfolgreich. Nicht zuletzt sind die Benanti-Weine hervorragende Begleiter zu einem original sizilianischen Menü, wovon wir uns am späten Abend überzeugen dürfen: Der Nerello Cappuccio zum Beispiel passt ganz hervorragend zu Spirelli mit frischen Trüffeln und Waldpilzen. Und weil die Benantis selbst keine Süßweine (wie den in Sizilien bekannten Malvasia) anbauen, haben sie für das Dessert eine Crème brûlée mit untergerührten Himbeeren und einen Orangenlikör (Amaro Amaro) der Nachbarn mitgebracht. „Was für ein gelungenes Pairing“, schwärmen meine Tischnachbarn aus Rio de Janeiro. Später am Abend wollen sie wieder tanzen. Aber das ist eine andere Geschichte …

Das Konzept des SeaDream Yacht Clubs, …

… an den Küsten des Mittelmeers entlangzuschippern und bei Degustationen an Bord und Landausflügen den Passagieren jene Winzer und Weingüter näherzubringen, von denen sie zu Hause vielleicht schon so manche gute Flasche genossen haben, scheint also aufzugehen. Und es passt sehr gut zum hohen Anspruch, den sich der 2001 von dem Norweger Atle Brynestad gegründete SeaDream Yacht Club selbst gesetzt hat. Seine beiden Schiffe SeaDream I und SeaDream II sind kaum länger als luxuriöse Privatyachten. Der Service ist Weltklasse, das Publikum an Bord international und mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren deutlich jünger als auf klassischen Kreuzfahrten. Kinder sind eher selten. Dank der geringen Größe können die SeaDream-Yachten auch kleine Häfen anlaufen und bieten so selbst weitgereisten Weltenbummlern neue Eindrücke.

Weil der Landausflug zum Weingut nahe Sorrent …

… nicht zustande kam, hatte der aus Kapstadt stammende Chefkoch der SeaDream II, Alistair Solomons, einen kulinarischen Spaziergang durch die Gassen der Altstadt organisiert, ohne Zusatzkosten. Für uns Europäer, die wir regelmäßig nach Italien reisen, war das zwar nicht sehr exotisch, doch für die amerikanischen und südamerikanischen Gäste und für die Drei-Generationen-Familie aus Hongkong eine nette Zugabe und eine gute Gelegenheit, sich anzuschauen, wie Limoncello hergestellt wird und welche Zitronen dafür am besten geeignet sind. Der Patrone der Manufaktur wusste natürlich, was seine Kunden von ihm erwarten, und schmetterte Dean Martins Klassiker „That’s Amore“ in die Runde. Eine Antipasti-Verkostung und ein Gelato-Stopp gehörten natürlich auch zu dem Rundgang, was angesichts der Völlerei an Bord eine zusätzliche Herausforderung bedeutete. Aber egal, die Botschaft war angekommen: Die Crew, jeder an Bord, ist bereit, die berühmte Extrameile zu gehen, um den Gästen die Reise so angenehm wie möglich zu machen. 

In Taormina klappte es dann endlich mit der Weingut-Tour.

Wir fuhren auf 700 Meter hinauf zur „Barone di Villagrande“, dem ältesten Weingut am Ätna (seit 1727). Alfonso Caltagirone baut hier ausschließlich die einheimische Etna-Traube an, aus der er einen Roten, einen Rosé, einen Weißen und einen Frizzante gewinnt. Aufgrund der Höhenlage erinnern die Weine weit mehr an Cool-Climate-Gewächse, als man das im ansonsten heißen und sonnenverwöhnten Sizilien vermuten würde. Außerdem haben die früheren Ausbrüche des Ätna und die Flussrichtung der Lava sehr unterschiedliche Terroirs geschaffen, die den Weinen einen jeweils eigenen Charakter verleihen. Die Fahrt zum Weingut hatte sich zwar etwas in die Länge gezogen, aber am Ende waren alle zufrieden. Die Barone-Weine mundeten vorzüglich. Und die getrockneten Tomaten und die anderen kleinen Schweinereien, die dazu gereicht wurden, schmeckten so herrlich aromatisch, wie sie eben nur hier in Sizilien schmecken können.

Die Frau, die diese Geschichten rund um den Wein an Bord organisiert, heißt Ida Elisabeth Dønheim.

Die in der Nähe von Trondheim geborene Norwegerin ist seit September 2015 Wine Director bei SeaDream. Als ausgebildete Sommelière und Köchin bringt die Ex-Chefin eines Boutiquehotels alles mit, was man für den Job wissen muss. Sie wählt die (im Preis inbegriffenen) Weine und Champagner aus, die täglich zu den Mahlzeiten ausgeschenkt werden. Sie ist verantwortlich für die gut 150 Positionen zählende (kostenpflichtige) Weinkarte an Bord, die sehr international gehalten ist, um dem ebenso kosmopolitischen Publikum gerecht zu werden. Sie holt Winzer an Bord für Verkostungen, Vorträge und spezielle Dinner mit Weinbegleitung. Sie bestimmt, welche Weingüter bei Landausflügen angesteuert werden und welche Flaschen für das Degustationsmenü des Chefkochs auf den Tisch kommen. „Die Basis meiner Arbeit ist natürlich das erstklassige Essen an Bord der Zwillingsyachten SeaDream I und Seadream II“, räumt die Norwegerin ein. „Ohne diesen hohen kulinarischen Anspruch würde ein solcher Fokus auf Weine keinen Sinn ergeben.“ Damit hat sie zweifellos Recht. Die Küche hält ein anständiges bis sehr gutes Niveau, wenngleich man keine Hauben- oder gar Sterneküche erwarten sollte.

Den gesamten nächsten Tag verbringen wir auf hoher See zwischen Sizilien und Griechenland.

Mitten im blauen Nichts stellt Kapitän Torbjørn Lund, der aussieht wie eine etwas kürzer geratene Version von Richard Branson, die Motoren aus und lässt das Schiff treiben – an Ankern ist bei 2.000 Meter Wassertiefe schließlich nicht zu denken. Und dann bittet er zum Bad im Meer. Viele sind es nicht, die sich trauen, bewacht von einem Motorboot. Es bläst zwar kein starker Wind, aber die Dünung ist hier draußen auf offener See doch beträchtlich. Dafür ist das Wasser kristallklar und hat zudem die perfekte Temperatur. Wir genießen das Ausgesetztsein, die zwei Kilometer Wasser unter dem Hintern, bis jemand von dem Film „Open Water“ zu erzählen beginnt, der bekanntlich nicht gut endet. Schnell schwimmen wir zur Plattform zurück.

Ein solcher Ruhetag auf offener See …

… und ohne Landgänge ist auch perfekt dafür geeignet, sein Weinwissen zu vertiefen. Wine Director Ida hat deshalb Sebastian Bredal an Bord geholt, Norweger wie sie, und einer von rund 300 Masters of Wine weltweit. Bredal ist als Importeur für den norwegischen Markt ständig auf der Suche nach neuen, spannenden Weinen und Erzeugern. Und er hat wie Ida ein Faible für deutsche Rieslinge, die den Norwegern besonders gut zu munden scheinen. Bredal hat deshalb die bekannten Weißweine der Familie von Winning aus Deidesheim in der Pfalz mitgebracht, die er selbst in Norwegen vertreibt. Für viele Gäste aus Übersee sind das in der Tat sehr exotische Weine. Und sie auf dem Mittelmeer von einem Norweger erklärt und serviert zu bekommen, ist natürlich noch exotischer. Einige hätten sich da vielleicht lieber regionale Weine aus Süditalien oder Griechenland gewünscht. Doch die anfängliche Skepsis weicht schnell heller Begeisterung, als Bredal den 2015er Paradiesgarten, den Pechstein GG 2014 und sogar den legendären Ungeheuer GG 2014 einschenkt, den er mit einem Schmunzeln mit „Monster“ übersetzt. Nun, das cremige, fast buttrige und so gar nicht Riesling-typische „Monster“ überzeugt wirklich alle und erinnert die Amerikaner an einen im Eichenfass gereiften Chardonnay aus Kalifornien. Am Ende sind alle glücklich mit der Präsentation und Ida kann aufatmen. Denn sie betritt in dieser Premierensaison, in der der SeaDream Yacht Club erstmals Weinreisen im Mittelmeer anbietet, eben auch Neuland. Einiges muss sich da erst noch einspielen, einiges wird sie in der kommenden Saison vielleicht wieder ändern. 

Am Abend lasse ich mir zum ersten Mal ein balinesisches „Dream Bed“ auf dem Oberdeck herrichten …

… und nehme mir fest vor, dieses Open-Air-Angebot auch wirklich zu nutzen und mich nicht wieder von Andi und den Brasilianern breitschlagen zu lassen. Tatsächlich liege ich um Mitternacht in meinem Traumbett, trage meinen SeaDream-Schlafanzug, genieße den lauen Wind im Gesicht und bewundere den Sternenhimmel, der hier durch keine künstlichen Lichter verunreinigt wird. La vita è bella – ich muss zugeben, dass es selbst auf meiner erträumten Privatyacht nicht schöner sein könnte. Zumal ich heute Nachmittag beim Empfang des Kapitäns eine halbe Dose sibirischen Kaviar allein ausgelöffelt habe. 

Am nächsten Morgen sind wir bereits in Griechenland, ankern in der idyllischen Bucht von Fiskardo auf der Insel Kefalonia. Andere Kreuzfahrtschiffe sucht man hier vergeblich, denn sie sind zu groß, um hier navigieren zu können. Um nach den vielen Weinproben und Degustationsmenüs wieder etwas in die Gänge zu kommen, leihe ich mir eines der Mountainbikes, die „meine“ Yacht an Bord hat, und verbrenne endlich wieder einmal Kalorien. Auf die Uhr schauen muss ich dabei nicht. Denn wenn ich den „Tender“, das Transferboot, das zwischen Yacht und Hafen pendelt, einmal verpasse, kommt das nächste spätestens in 15 Minuten. Ein schöner Service, der einem das Gefühl gibt, vollkommen unabhängig zu sein. Ich mache mit meinem Rad deshalb eine ausgedehnte Pause in einer einsamen Bucht, schwimme im türkisblauen Wasser und genieße es, einmal weg von der Gruppe und allein zu sein. 59 Gäste – das ist wirklich nicht viel. Die meisten davon habe ich kennengelernt, mich mit einigen angefreundet. Und doch merke ich, dass ich wohl nicht für wirklich große Schiffe geschaffen bin.

Die Weine der Region lassen wir übrigens links liegen, …

… ebenso wie jene aus Galaxidi nahe Delphi, das wir als nächstes Ziel ansteuern. Wir haben dabei nicht das Gefühl, viel zu versäumen, denn die griechischen Winzer haben sich in jüngster Zeit nicht gerade als Reformer und junge Wilde hervorgetan, sieht man einmal von Santorin ab. Und dann steht auch schon das letzte Highlight unserer Wein-Cruise auf dem Programm: die Durchfahrt durch den Kanal von Korinth, der den Peloponnes vom griechischen Festland trennt. Unser Kapitän kündigt an, dass wir noch eine gute halbe Stunde warten müssen, weil wir Gegenverkehr haben, der zuerst drankommt. Uns macht das gar nichts aus. Die Stimmung an Bord in der untergehenden Sonne und dem unwirklichen Licht ist ausgezeichnet. Andrea und Carlos haben sich eine griechische Toga übergeworfen und einen Lorbeerkranz aufs Haupt gesetzt. Sie servieren gekühlten Ouzo und griechische Leckereien. Und wenn sie gerade einmal nichts zu tun haben, tanzen sie einen Sirtaki. Die neuen Freunde aus Rio sind dazugekommen und machen natürlich mit – Brasilianer müssen tanzen. Immer, überall. Und sie hatten gestern Abend mit uns gemeinsam auf der Großleinwand auf dem Pooldeck den Klassiker „Alexis Sorbas“ mit Anthony Quinn angeschaut, den sie bis dato nicht kannten. Es ist ein melancholischer Film, aber auch ein Streifen, in dem viel gefeiert wird. Und das hat ihnen sehr gut gefallen.

Inzwischen ist unser Boutiqueschiff in den Kanal von Korinth eingefahren, oder besser:

Ein Schlepper zieht uns vorsichtig durch diesen schmalen Einschnitt im Fels hindurch, denn viel Platz ist da nicht auf beiden Seiten. Fast kann man die Wände berühren, so nahe kommen wir diesen. Inzwischen ist es fast dunkel und die Lichter unserer Yacht machen sich besonders schön in dem engen Kanal. Als wir diesen verlassen, hat sich auf mein Gesicht bereits ein sanftes Lächeln gelegt – der dritte Ouzo tut seine Wirkung. Zum Glück geht es bei SeaDream leger zu. Es gibt einen sehr lockeren Dresscode, der als „Yacht casual“ bezeichnet wird, soll heißen: eine ordentliche Hose und ein ordentliches Hemd genügen, vielleicht noch ein Jacket, aber eben kein Anzug und keine Krawatte, schon gar kein Smoking. Oder eben eine Toga. So eine, wie Andy sie trägt. Er ist inzwischen oben in seiner Bar, schnippelt Zitronen, bereitet seine eigenen Cocktailkreationen vor. Dass wir uns auf einer Wein-Cruise befinden, ist uns irgendwie abhandengekommen. Uns steht der Sinn nach härteren Sachen. Wir wollen feiern, bis der Morgen graut, bis wir im Hafen von Piräus ankommen. Und über das böse Erwachen wollen wir noch gar nicht nachdenken. Vermutlich wird Goran neben meinem Frühstückstisch stehen und sagen: „Mr. Kast, dieser Teller ist aber wirklich zu schwer für Sie.“

Weinreisen mit dem SeaDream Yacht Club

Bis Oktober gibt es noch mehrere einwöchige Weinkreuzfahrten rund ums Mittelmeer, bei denen sich alles um edle Tropfen dreht. Die Weinreisen sind ab 4.130 Euro pro Person buchbar (zzgl. An- und Abreisekosten), basierend auf einer Doppelbelegung. Inkludiert ist das All-inclusive-Angebot, das unter anderem (fast) alle Getränke und Speisen an Bord, zahlreiche Aktivitäten sowie Trinkgelder enthält. Im Winterhalbjahr sind die beiden SeaDream-Yachten in der Karibik unterwegs. Die Überfahrten zwischen Mittelmeer und Karibik können ebenfalls gebucht werden – dabei ist auf dem offenen Atlantik besonders viel Zeit für Weindegustationen.

Weitere Informationen

seadream.com