Royaler Chic

Kultserien wie Downton Abbey oder Bridgerton haben die Sehnsucht nach britischer Eleganz im Interior geweckt. Egal wie man es nennt, ob „Granny Style“ oder „Grandmillenial“, in Kombination mit modernen Elementen ist dieser Trend ein Statement gegen puren Minimalismus.

Der Five o’Clock Tea im Kreise von Familie und Freunden ist mehr als ein altmodisches Ritual. Er ist eine wichtige Zäsur im oft hektischen Alltag – eine Zeit miteinander zu reden und sich in Ruhe auszutauschen. Es ist wie ein Ausatmen mit anregendem Tee und kleinen Snacks wie Sandwiches und Cones mit pikanter Füllung. Man kann einfach nur plaudern oder in entspannter Haltung auch wichtige Entscheidungen treffen. Oft geht er nahtlos in einen gepflegten Aperitif als Vorspiel für ein geselliges Abendessen über. Das haben die britischen Inseln mit der Lebenslust südlicher Länder gemeinsam: Die Überzeugung jeden Tag nicht einfach nur vergehen zu lassen, sondern mit einem kleinen Fest zu feiern. Dazu braucht es einen adäquaten Rahmen im Privaten, denn das englische Wetter ist anspruchsvoll und auch in manchem Sommer ist ein prasselndes Kaminfeuer in pittoresken Landhäusern vonnöten.

Die Mutter aller behaglichen Landhaus-Stile …

… ist nicht umsonst hier entstanden und feiert ein Comeback in der Sehnsucht nach einer eleganten Lebensführung des Landadels in einer Kultserie wie Downton Abbey. Dabei setzt es dem trüben regnerischen Klima immer eine verspielte Fröhlichkeit entgegen. „Grandmillenial“ ist farbenfroh, charmant und im besten Sinne „old-fashioned“, ohne angestaubt zu sein. Denn er lässt der eigenen Phantasie viel Raum, verzeiht auch ausgefallene Ideen. So kann ein edles Familienerbstück mit einem aufgewerteten Fundstück vom Flohmarkt kombiniert werden und auch ausgesuchte moderne Elemente bekommen in diesem gediegenen Ambiente eine neue Aura. Wichtig ist einfach nur die Lust an der Opulenz, an starken Farben, geschwungenen Linien und ausgefallenen Mustern. Ein alter Ohrensessel mit einem exzentrischen neuen Blumenbezug, Stehlampen mit Fransen oder Tischdecken mit Rüschen können endlich wieder vom Speicher geholt werden. Türkis, Rosa oder Flieder der Textilien können perfekt mit einer trendigen Wandfarbe wie Petrol kombiniert werden.

Ein alter Bilderrahmen mit moderner Streetart, …

… Kommoden im Shabby Chic, an die man selbst Hand angelegt hat, und angesagte Vintage-Teppiche mit verblichenen Orientmustern sorgen für die nötigen Brüche in einer Umgebung, die so zeitgemäße Lebendigkeit atmet. Es geht nicht um Nostalgie, sondern um Entwicklung einer ganzen Familiengeschichte, denn man kann nun das Erbstück der Großeltern mit eigenen Objekten kombinieren. Je ausgefallener ein Kerzenleuchter vom Flohmarkt, je knalliger ein abstraktes Gemälde in barockem Rahmen und je edler das alte Porzellan aus Familienbesitz ist, umso besser erzielt man diese verspielte, lebensfrohe und doch elegante Umgebung, in der man sich entspannt in einem bequemen Fauteuil zurücklehnen kann. Wichtig ist die Balance aus Opulenz und Klarheit. Es geht nicht darum, die Zimmer mit allerlei Dingen vollzustellen, sondern gezielt Akzente zu setzen und Interior-Inseln zu schaffen, damit bei aller Farb- und Formintensität das Auge und die Seele trotzdem Ruhe finden. Frische Blumen in Kombination mit den floralen Mustern von Tapeten und Wohntextilien schaffen dabei die gewünschte Lebendigkeit.

Es darf also wieder etwas romantischer werden, …

… das exklusive Stilmöbel ist wieder en vogue, aber nicht als dominierendes Konzept, sondern als wertiges Element in einer vitalen Umgebung, die Klassisches zu schätzen weiß, ohne das Zeitgemäße zu verbannen. Dieser „Granny Style“, der bei manch mutigem Trendbewussten auch zu silberglänzender Haartönung geführt hat, ist alles andere als angestaubt und zeugt von Wertschätzung für gutes Handwerk. Handgewebte Textilien mit starken Mustern, qualitätsvolle Möbel aus Werkstätten und individuell gefertigte Wohnaccessoires schaffen nicht nur Werte für kommende Generationen, sondern sind auch Ausdruck wirklicher Nachhaltigkeit. Es ist kein Trend, der in der nächsten Saison verschwindet, sondern ein langfristiges Projekt für die ganze Familie. Damit kommen auch altes Familiensilber und die oft großen Porzellansammlungen der Vorfahren zu verdienten Ehren. Denn was wäre die gemeinsame Teezeit ohne stilvolle Keramik mit verspielten Mustern und Formen im Kerzenlicht eines wertvollen Lüsters.

Da der Trend aus dem britischen Empire stammt, …

… passen auch afrikanische Holzskulpturen, große chinesische Vasen für die edlen Rosen aus dem eigenen Garten oder tropische Rattanmöbel mit ausgefallenen Kissen perfekt in diese Welt. Ein Beistelltisch mit Familienfotos in wertvollen silbernen Rahmen ist ein lebendiges Album, das nicht im Bücherregal verstaubt. Es sind gerade diese kleinen Dinge, die dem „Grandmillenial“ den letzten Schliff geben. Sorgsam arrangierte repräsentative Kunstbände auf dem eleganten Couchtisch und natürlich eine selbstbewusst präsentierte Bibliothek in eigens angefertigten passgenauen Regallandschaften aus edlem Holz sind eine wunderbare Kulisse, in der man sich wie seine Lord- oder Ladyschaft nach einem produktiven Arbeitstag fühlen kann. Ein wenig phantasievolle Inszenierung sollte man nicht nur der eigenen Wohnung, sondern auch sich selbst zugestehen. Nicht umsonst übt die britische royale Kultur auch in unseren manchmal profanen republikanischen Zeiten einen besonderen Reiz aus. Das englische Understatement steht dabei in eleganten Kontrast zum manchmal überbordenden Protz der wilhelminischen Ära, die versuchte, in kurzer Zeit einen Stil zu kreieren. England steht dagegen für eine jahrhundertealte Tradition, die nie stehen geblieben ist. Daher ist dieses Interior auch so frei, sich Neuem zu öffnen und seine Palette durch die Zeitläufe zu erweitern. „Granny Style“ ist damit keine reine Nostalgie, sondern ein spielerischer Umgang mit Vergangenheit und gelebte Lust, eigene Ideen der Tradition hinzuzufügen.