Rauhe Eleganz

Beton stand lange für einen industriellen Baustoff für Nutzbauten. Aktuell wird dieses natürliche Material neu definiert und setzt im Interior Design mit seiner klaren und herben Schönheit überraschende Akzente.

 

In unserer Wahrnehmung ist Beton ein oft nicht positiv belegter Baustoff der Moderne.

Wir denken an gesichtslose Trabantenstädte und schmucklose Zweckbauten.

Aber dieses vielfältig einsetzbare Material hat eine glanzvolle Geschichte, die manchen überraschen mag. „Opus caementicium“ war der Stoff, aus dem die Alten Römer ihre Architekturträume verwirklichten. Aus gebranntem Kalk und verschiedenen Zugaben, wobei vor allem vulkanischer Tuff verwendet wurde, haben sie wie bei modernem Beton durch Zugabe von Wasser widerstandsfähige Bauelemente geschaffen, die aber bis zur Aushärtung formbar und später nicht einfach starr waren, sondern sich fast elastisch an wechselnde Temperaturen anpassen konnten. Die wichtigste Eigenschaft war die hohe Aufnahmefähigkeit von Feuchtigkeit. So setzten die antiken Baumeister den Stoff vor allem für die berühmten Aquädukte und Hafenbauten ein, ohne die die Hauptstadt des Imperiums nie so erfolgreich zu versorgen gewesen wäre. Ein Bauwerk, das die Jahrhunderte quasi unbeschädigt überstand, ist das Pantheon. Der gigantische Kuppelbau wäre ohne diese Technik nicht möglich gewesen und wie so Vieles ging dieses Wissen mit dem Untergang des Reiches für Jahrhunderte verloren. Erst im Zuge der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts wurden erst wieder entsprechende Verfahren für größere Bauten entwickelt und so gilt Beton, wie auch der Stahl, als Symbol einer neuen Zeit.

Der Industrial Wohnstyle ist eine Referenz an diese Zeit …

… und seit Jahren immer angesagter.

Klare Linien mit industriellen Materialien wie Eisen geben modernen Wohnwelten ein reduziertes und doch elegantes Gesicht. Es sind meist Unikate mit Ecken und Kanten, die hier Einzug halten. Freiliegende Holzbalken und stumpfes Metall schaffen eine Atmosphäre von minimalistischer Schönheit. Es ist ein Stil für Individualisten, die keine Angst vor der Reduktion auf das Wesentliche haben. Die Rauheit des Betons ist jedoch  nicht ohne eine etwas eigene Behaglichkeit, die durch einzelne besondere Stücke geschaffen und betont wird. Kein Wunder, dass im Zuge dieser Entwicklung Beton als Gestaltungsmittel neu entdeckt wurde. Das Steingemisch ist nicht nur stabil, langlebig und pflegeleicht. Es ist auch beliebig formbar und lässt daher bisher ungeahnte Design-Entwürfe mit dieser Flexibilität zu. Der Werkstoff ist ein Naturprodukt: Zement aus Kalkstein und Ton wird mit Sand oder Kies und Wasser vermischt, dann in eine Schalform gegossen und ausgehärtet. Man kennt das Gießen von Betonwänden zwischen senkrechten Verschalungen, doch im Möbelbau gehen die gestalterischen Freiheiten viel weiter. Es gibt spektakuläre Betonmöbel, die massiv gegossen werden – Arbeitsplatten und Tische mit klarer Form – stabil und selbsttragend, aber auch schwer. Viele Gestalter arbeiten mit spielerischeren Entwürfen und zarteren Stärken, so bei Lampen und Wohnaccessoires.

Selbst für Objekte, die eher für Filigranität stehen, wird er benutzt.

Lampenschirme werden heutzutage aus Beton produziert. Sie sind oft nicht hundertprozentig perfekt gegossen, sondern haben unregelmäßige Ränder und kleine Lufteinschlüsse, die den Leuchtkörpern eine lebendige Struktur geben. Fast erinnern sie an japanische Teetassen, die ja auch von kleinen Fehlern, vom Unperfekten des Wabi Sabi leben. Ein innovativer Designer ist hier die Firma Rehform. Die innere Ausstrahlung der Beton-Pendelleuchte ist bares Gold wert: Behutsam wird die Innenfläche des puristisch geformten Lampenschirms mit roter Anlegemilch ausgestrichen und darauf Blatt für Blatt das 24-karätige Edelmetall aufgebracht. Die diffuse Reflexion des sanften Goldtons verstärkt die Helligkeit des Lichts und intensiviert seine wärmende Wirkung. Ein stilsicheres Crossover von minimalistischer Härte und zarter Sinnlichkeit. Doch dies ist nur ein Produkt der Designerschmiede, die sich auf überraschende Objekte aus Beton spezialisiert hat. Besonders zu erwähnen ist auch der Stereolautsprecher, der die hohe Dichte des Werkstoffes für eine vibrationsarme Akustik nutzt, die einen unverfälschten Sound bietet.

Es ist vor allem das als elegant empfundene Grau des Betons, …

… welches es so beliebt macht.

Eine Farbe, die als Basis im Ambiente jede Gestaltung zulässt. Entweder man bleibt puristisch oder setzt dem Einfachen und Klaren auffallende Elemente wie Stuck und opulente farbige Möbel entgegen. Zudem ist Grau nicht gleich Grau. Durch Beigabe von Pigmenten zur Rohmasse kann man unendliche Facetten bis hin zu leicht glitzernden Oberflächen erreichen. So wird Beton als industriell anmutender Boden gerade in Lofts anstatt klassischem Estrich eingesetzt. Dabei sind eben nicht nur Stabilität und Leichtigkeit in der Pflege entscheidend, sondern auch diese Anmutung eines rauen, individuellen Geschmacks. Je nach gesetzten Kontrasten – entweder mit kühlem Blau oder sogar kräftigen Pastellfarben – ändert sich dieser neutrale Farbton, ohne dass man Hand anlegen müsste. Einmal verwendet, lässt er neue Einrichtungsideen zu. In der Mode nannte man dies einmal „Das kleine Schwarze“, das einfach immer ging.

Interessanterweise macht klares Grau auch in der Textilindustrie dem absolut Dunklen immer mehr Konkurrenz. Und hier ist es Zeit, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Beton ist nicht einfach nur rau. Eine entsprechend verarbeitete und behandelte Oberfläche ist angenehm und fast samtig. Geschützt vor Schmutz mit einer Imprägnierung erhält er eine wunderbar angenehme Haptik und hat als Naturmaterial eine praktische Wirkung für das Raumklima. Es speichert Wärme und Kälte je nach Jahreszeit und Verwendung. Im Sommer ist so ein klarer, strenger Esstisch aus Beton eine Quelle für Kühlung und in der kalten Jahreszeit speichert eine Oberfläche aus diesem innovativen Material auch das letzte bisschen Wärme aus einfallendem Tageslicht. Beton lebt und atmet und ist nicht einfach nur lebloser Stein.

Diese perfekten Temperaturresonanzen …

… führen natürlich auch zum Einsatz in Küche und Wärmeversorgung.

Gegossene Kochinseln aus Leichtbeton mit unterschiedlichster Ausstattung und Gestaltung sind schon länger ein Thema. Bei Beton kann man sich die separate Arbeitsplatte sparen. Die Oberflächen sind resistent gegen Verletzungen durch Klingen, genauso wie Teig sich schwer tut, beim Backen hier kleben zu bleiben. Oft reicht dann warmes Wasser, um fleckenlos sauber zu machen. Wichtig ist dabei die entsprechende Versiegelung: Entweder matt oder glänzend, nicht nur nützlich, sondern in der Unterschiedlichkeit eine weitere Gestaltungsmöglichkeit. Genauso halten diese individuell gegossenen Körper Einzug in die Welt der Öfen und Kamine. Es liegt nahe, dass sich jemand, der sich für ein klares reduziertes Ambiente entschieden hat, nicht unbedingt für einen Kachelofen erwärmen kann. Sichtbeton als Fläche lässt sich nach Wunsch bearbeiten, Haptik und Optik entsprechend herausarbeiten. Perfekt kombinierbar mit Glas und Metall entsteht so ein spektakulärer Blickfang, der in seinen thermischen Eigenschaften allen modernen Anforderungen von effizientem Energieeinsatz gerecht wird.

Beton ist also der wohl einzige Baustoff, …

… den man Innen und Außen einsetzen kann.

Ob ein grober Klotz oder ein filigraner Lampenschirm, als glatt polierte Oberfläche oder stark haptisches Objekt, hier hat das Design einen Stoff in den Händen, den man nach Belieben formen, nutzen und entwickeln kann. Sein grobes Image hat er schon lange verloren und seine einfache Eleganz in Kombination mit seinen außergewöhnlichen physikalischen Eigenschaften macht ihn für viele zu dem zeitgemäßen Material, mit dem man seine Ideen ganz individuell umsetzen kann. Wie die Idee einer riesigen freitragenden Kuppel, die ein Baumeister vor 2.000 Jahren mitten in die Ewige Stadt setzte und die bis zum Bau des Doms in Florenz im 15. Jahrhundert die größte ihrer Art war.