„Bunte Münchner Kindl“ und noch viel mehr

Petra Reiter im Gespräch

„Ich mag keine Bilder von mir, auf denen ich mit einem Sektglas in der Hand als ‚First Lady‘ neben meinem Mann stehe. Das ist ganz weit weg von dem, was ich mache“, sagt Petra Reiter. Tatsächlich ist sie zwar die Ehefrau des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter – vor allem aber ist sie eine Frau, für die das Engagement für andere eine Selbstverständlichkeit ist und deren natürliche Freundlichkeit verzaubert.

Frau Reiter, mit 17 haben Sie sich zum ersten Mal ehrenamtlich engagiert – waren Sie zunächst gar nicht so glücklich damit? 

Ich habe damals im Rahmen eines Schulprojekts in einem Altenheim gearbeitet. Das war zu dieser Zeit einfach nicht das Richtige für mich. Ich konnte die Themen, die mit dem Älterwerden verbunden sind, nicht an mich heranlassen, dachte immer nur, „Ich möchte nie so alt werden!“, und ich wollte niemanden sterben sehen. Nächtelang habe ich vor lauter Panik schlecht geschlafen. Niemals hätte ich mir vorstellen können, in die Hospizarbeit einzusteigen.

Aber genau das haben Sie getan. Und die Möglichkeit, Ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Hospizbetreuerin weiter auszuüben, haben Sie sogar zur einzigen „Bedingung“ für Ihre Zustimmung zur OB-Kandidatur Ihres Mannes gemacht?

Stimmt (sie lacht) – und das ist doch auch gelungen.

Aber geht diese Arbeit nicht sehr an die Seele? 

Jaaaa – doch letztendlich bekommt man viel mehr zurück, als man gibt. Und man wird ja als ehrenamtlicher Hospizbegleiter nicht einfach losgelassen, sondern erhält eine monatelange Ausbildung. Und man darf diese Arbeit auch nicht als Fließbandarbeit sehen. Zwischen den Patienten, den Menschen, die man betreut, gibt es Pausen, die ich auch für mich selbst brauche. Aber ich wusste einfach irgendwann, jetzt bin ich bei einem Ehrenamt angekommen, das mich erfüllt.

Dabei ist das bei weitem nicht Ihr einziges Engagement.

Am besten bekannt ist den meisten wohl die von Ihnen ins Leben gerufene Stiftung „Bunte Münchner Kindl“. Dass sie inzwischen wirklich ziemlich bekannt ist, freut mich sehr. Obwohl das leider auch daran liegt, dass der Bedarf wirklich da ist. Eigentlich sollte es nämlich zunächst einfach ein Projekt werden: bedürftige Kinder in München mit Schulmaterial auszustatten. Doch weil es eben so viele Kinder gibt, die unsere Unterstützung brauchen, sind wir jetzt im dritten Schuljahr. Pro Jahr statten wir etwa 1.000 Schüler mit Ranzen und Unterrichtsmaterial aus, das sie für die verschiedenen Ansprüche benötigen.

Woher wissen Sie, welches Kind was benötigt? 

Es gibt ein Anforderungsformular für die Lehrer. Wenn sie merken, dass eines ihrer Kinder Hilfe benötigt, füllen sie alle Informationen über das Kind aus und kreuzen an, was benötigt wird. Mit insgesamt 25 freiwilligen Helfern packen wir dann alles zusammen und schicken es an die Schule.

Irgendwie kann man sich gar nicht vorstellen, dass Kinder in München nicht ausreichend Schulmaterial haben? Gibt es da keine offizielle Förderung? 

Doch. Über das Bildungs- und Teilhabepaket können Kinder einen Betrag zwischen 10 und 150 Euro bekommen. Das reicht nur leider hinten und vorne nicht. Ein guter Schulranzen kostet schon 150 Euro, rechnet man alles andere dazu, sind wir schnell bei rund 350 Euro. Dabei sind Hefte und Stifte noch das wenigste. Wenn beispielsweise nicht alle Kinder einen Zirkel haben, hält es den Unterricht unnötig auf, bis sich drei Kinder einen geteilt haben. Oder wenn sich mehrere Kinder einen Malkasten teilen müssen. Oder einen Taschenrechner. Das gehört eben alles dazu.

Arbeiten Sie denn auch mit Firmen zusammen, die Schulmaterial produzieren? 

Prinzipiell nehmen wir Sachspenden genauso gerne entgegen wie Geldspenden. Und mittlerweile haben wir mit vielen Firmen tolle Konditionen. Geldspenden setzen wir eins zu eins ein. Wir haben keinerlei Verwaltungskosten, die übernehme ich selbst. Jede Briefmarke, jedes Getränk für die Ehrenamtlichen kommt von mir, das spendiere ich gerne.

Wissen die Kinder denn zu schätzen, was sie von Ihnen bekommen? 

Oh ja, auch wenn sie nicht immer wissen, von wem es kommt. Aber sie schicken auch oft Dankesbriefe – oder Bilder. Vor kurzem hat uns ein Lehrer von einem Schüler erzählt, der von uns ausgestattet wurde und gleich im ganzen Pausenhof stolz seinen neuen Schulranzen gezeigt hat, weil er jetzt auch „dazugehört“. Und einer unserer Ehrenamtlichen ist ein 17-jähriger Schüler, der als 13-jähriges Flüchtlingskind aus dem Irak nach München kam. Er hilft nicht nur bei uns mit, sondern er will Kinderarzt werden, weil er ebenfalls Kindern helfen möchte, so wie ihm geholfen wurde. Wir achten aber auch darauf, dass die Kinder nicht stigmatisiert werden. Es gibt keine Aufkleber auf den Sachen, womit jeder gleich sehen würde, dass das Kind von uns ausgestattet wurde.

Vielleicht würde das aber doch auch den Klassenkameraden zeigen, dass nicht alles selbstverständlich ist und man anderen helfen kann? 

Das erreichen wir trotzdem, aber eher indirekt. Wir haben zum Beispiel so ein kleine Ape, ein umgebautes Pizza-Taxi. Damit fahren wir auf Pausenhöfe und sammeln von Schülern Ranzen ein, die sie nicht mehr brauchen, und geben sie an Bedürftige weiter. Sowohl die Spender als auch die Empfänger bekommen dann einen unserer bunten Pins, und den finden sie alle schön.

„Bunt“ ist ein gutes Stichwort – warum „BUNTE Münchner Kindl“? 

Weil wir ein bunter Haufen sind, darauf legen wir sehr viel Wert. Egal welche Herkunft, egal welche Religion, welche Größe, welche Hautfarbe, welches Geschlecht, welche Sprache – wir sind da für die, die Hilfe brauchen.

Und „Hilfe“ geht eben nicht nur mit Geld … 

Richtig. Wir brauchen nicht nur meine Helfer, sondern auch die Lehrkräfte, und wir arbeiten auch mit den Wohlfahrtsverbänden zusammen. Damit die Logistik passt, muss man immer ganz viele ins Boot holen. Das gilt aber nicht nur für die „Bunten Münchner Kindl“. Wir sprechen heute so viel von Integration und Inklusion, aber dabei geht es nie nur um Theorie, sondern darum, die Menschen wirklich an die Hand zu nehmen, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Das Schöne ist, auch Sie sprechen da nie aus der Theorie. Stichwort: Integration.

Auch hier haben Sie persönlich lange Zeit eine Familie aus Somalia betreut, die heute auf eigenen Füßen steht. Auch da ging es nicht in erster Linie um Geld.

Nein, es geht immer darum, sich um Menschen zu kümmern, sie – mit einem Vertrauensvorschuss – an die Hand zu nehmen und ihnen zu zeigen, wie sie hier leben können. Das Schulprojekt ist auch deswegen so wichtig, weil es hier natürlich teilweise auch um Integration geht. Die Kinder, die hier ankommen, sind oft schwer traumatisiert. Lehrer haben mir von Kindern erzählt, die sich sofort unter dem Tisch verstecken, wenn sie ein Flugzeug hören. Und doch sind es die Kinder, die ganz schnell Deutsch lernen. Aber man muss eben trotzdem schauen, dass sie bei uns eine Chance auf Bildung haben, dass sie sich in ihrer Freizeit ein Hobby leisten können und dass sie nicht in Ghettos leben.

Das klingt jetzt doch ein wenig politisch?

Ich will mich ganz bestimmt nicht in die große Politik einmischen. Aber ich glaube ganz fest, dass es für jeden Menschen wichtig ist, ein geschütztes Zuhause, eine geschützte Privatsphäre zu haben. Es gibt hier in München auch immer wieder Familien, die sich München eben nicht leisten können – und die übrigens nicht zugewandert sind. Wir haben leider viele wohnungslose Menschen und sogar eine nennenswerte Zahl von Obdachlosen, die auf der Straße leben. Und ich glaube, dass auf der Straße Religionszugehörigkeit nicht das große Problem ist, sondern die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Natürlich gibt es Negativbeispiele, aber an denen darf man sich nicht festbeißen. Und ich glaube, dass, wenn unsere Gesellschaft offen ist und bestimmte Themen nicht von Haus aus blockiert, sondern eben einen Vertrauensvorschuss gibt, wir damit etwas Gutes für die Zukunft tun. Das ist Politik, weil es die Gesellschaft verändert, hat aber mit Parteipolitik nichts zu tun. Ich möchte schon, dass meine Enkelkinder einmal sagen: Oma, das hast Du gut gemacht.

Ist Ehrenamt damit also auch eine Möglichkeit des parteiunabhängigen politischen Einsatzes? 

Genau. Ich sehe das bei „meinen“ Ehrenamtlichen. Die sind politisch nicht alle gleich, aber alle setzen sich ein, damit es den Kindern und damit auch der Gesellschaft ein bisschen besser geht. Dafür opfern sie viel Zeit, ohne mit irgendeiner Fahne oder einem Parteibuch zu winken. Und wenn man heute von Politikverdrossenheit spricht, dann stimmt das insoweit also zumindest nicht ganz. Jeder zweite Münchner übt ein Ehrenamt aus, angefangen bei der Freiwilligen Feuerwehr, den Schulweghelfern, den Nachbarschaftshelfern, in vielen anderen wichtigen Bereichen oder eben mit dem Einsatz bei uns. Das finde ich großartig. Und noch großartiger finde ich, dass dieses Engagement wächst.

Hat sich für Sie denn als OB-Gattin etwas geändert? 

Ja natürlich. Und wissen Sie, was ich am meisten daran schätze? Dass ich jetzt eine Stimme habe, die man hört. Ich setzte mich – ohne mich zu verzetteln – für viele Projekte ein, wo es um Kinder und um Armut geht. In etwas geringerem Maße habe ich das immer schon getan. Aber jetzt hört man mir ganz anders zu, jetzt kann ich auf ein ganz anderes Netzwerk zugreifen – und das nutze ich gerne aus.

Wer noch mehr über die „Bunten Münchner Kindl“ und deren Trägerstiftung „Wir helfen München“ erfahren will:

bunte-muenchner-kindl.de
wir-helfen-muenchen.de