„Team bedeutet: Es sind alle, nicht nur einer“

Polizei-Sprecher Marcus da Gloria Martins

Münchner Stimmen – Menschen, die München auf ihre Art prägen, möchten wir Ihnen in Zukunft hier vorstellen. Den Anfang macht Marcus da Gloria Martins, der zwar die „Stimme“ der Münchner Polizei ist, uns im Gespräch aber sehr eindeutig klar macht, dass es beim Bild der Polizei in unserer Stadt nicht um ihn geht, sondern um die vielen Kollegen, die täglich ihren Job machen – und die wir vielleicht manchmal als viel zu selbstverständlich sehen.

 

Auch wenn Sie es sicher schon nicht mehr hören können, wenn man Sie auf den Amoklauf im OEZ anspricht, tatsächlich hat man damals als normaler Münchner zum ersten Mal bewusst nicht nur von Ihnen, sondern eben auch von einer Pressestelle der Polizei gehört. Es ist Ihnen gelungen, in eine schwierige und aufgeheizte Situation Ruhe zu bringen – indem sie sehr offen, auch über Soziale Medien, kommuniziert haben, was der Stand der Dinge war.  

Sie haben recht, leider wird dieser Amoklauf mit Blick auf die Polizei immer so ein bisschen mit meiner Person verbunden. Das ist zwar sicherlich meiner Rolle als Pressesprecher geschuldet, aber: Erstens hat sich dieser Amoklauf zu einem Zeitpunkt ereignet, an dem wir ohnehin schon in einer Phase der Neuorientierung unserer Kommunikationsarbeit waren, und zweitens: Wenn ich mir anschaue, wer damals die eigentliche Arbeitsleistung erbracht hat, dann war mein Anteil daran verschwindend gering.

Sie sprechen von der Leistung der Kollegen vor Ort?

Genau. Ich selbst war nicht einmal am unmittelbaren Tatort, andere Kollegen schon. Und viele von ihnen haben traumatische Dinge erlebt – bis hin zu den Kollegen, die den Täterkontakt hatten. Das ist für mich die wirkliche Leistung. Und deshalb fühlt es sich nie so gut an, immer gleich „der Polizist vom OEZ-Amoklauf“ zu sein.

Zur Krisensituation wurde es ja nicht nur beim OEZ, sondern auch hier in der Innenstadt. 

Für mich gab es ein Schlüsselerlebnis dafür, wie unglaublich professionell unsere Kolleginnen und Kollegen gehandelt haben, direkt vor diesem Fenster (in der Pressestelle des Polizeipräsidiums, Anm. d. Redaktion). Es gab ja zahlreiche Meldungen über weitere Täter und Schussabgaben in der Innenstadt. Hier traf sich ein Team der Hauswache, die normalerweise für die Objektsicherung des Präsidiums verantwortlich ist und ein Team der Verkehrspolizei. Die Kollegen kannten sich nicht, sprachen sich aber sofort ab, diskutierten kurz, dass sie zu fünft nur eine Maschinenpistole hatten, marschierten aber dann entschlossen los. Genau das ist das Bild, an das ich mich erinnere: Die Kollegen laufen in die Richtung, aus der alle anderen – auf der Flucht vor vermeintlich bewaffneten Tätern – kommen. Die Ruhe, die diese Fünf ausgestrahlt haben, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Auch das meine ich damit, wenn ich sage: Der Verdienst dieses Abends liegt bei jedem einzelnen Kollegen, der an diesem Abend seinen Job gemacht hat.

Sie sagen auch, die Kommunikationsabteilung war damals ohnehin gerade in einer Phase der Neuausrichtung?

Ja, das OEZ war für uns der tragische Praxistest für eine Neukonzeption der Kommunikation. Das große Nachdenken darüber wurde durch die Er- fahrungen zur Silvesternacht 2015/16 ausgelöst. Spätestens da hatten wir verstanden, dass die Öffentlichkeitsarbeit einer Behörde, wie sie bis zu diesem Zeitpunkt konzipiert war, nicht mehr funktioniert. Ich mache das gerne mit einem Bild fest: Wir waren noch bereit, jedes Faxgerät dieser Welt zu bedienen, haben aber nicht verstanden, dass nirgendwo mehr ein Fax steht. Zunächst wurde also alles, was das kommunikative Selbstverständnis einer Behörde angeht auf den Prüfstand gestellt, neu entwickelt. Und mitten in diesen Prozess kam der Amoklauf. Dort wurden wir gezwungen, an einem maximal schlimmen Ereignis unsere Überlegungen auch in die Praxis um- zusetzen. Und obwohl wir also die neuen Konzepte vorher noch nicht testen und fein austarieren konnten, hat es funktioniert. Das ist die Kommunikationsleistung unseres Teams, auch hier nicht meine persönliche.

Das Handling solcher Ereignisse trägt sicher auch dazu bei, dass sich das Bild der Polizei größtenteils positiv geändert hat? 

Natürlich ist es unsere Kernaufgabe, unser Haus nach außen auch mit dem Blick auf das Image zu begleiten. Aber wie in einem normalen Unternehmen ist letztendlich jeder Mitarbeiter dafür verantwortlich, und damit insbesondere die Kollegen im unmittelbaren Kontakt mit den Bürgern. Dass sich hier sicherlich viel geändert hat, liegt auch am Generationswechsel. Sehr viele junge Polizisten aus Bayern kommen nach ihrer Ausbildung zunächst nach München. Und diese jungen Menschen bringen auch den Wandel in der Wahrnehmung von Behörden mit. Die jungen Kollegen, die überwiegend nicht aus Ballungsräumen kommen, treffen hier allerdings auf meist lebensältere, sich immer irgendwie im Stress befindliche Großstädter. Da ist das Verständnis für die eine oder andere Kontrollsituation nicht immer gegeben. Die Situation steht und fällt mit der sozialen Kompetenz. Es gibt unglaublich viele positive Beispiele, wie Kollegen Leute „runtersprechen“, für Einsichten sorgen, und auch erklären, warum wir bestimmte Dinge machen müssen. Das funktioniert hier in München ziemlich gut und wir haben tatsächlich einen relativ guten Ruf in unserer Bevölkerung, was ich sehr oft im Gespräch mit Kollegen aus anderen Regionen – mit leicht neidischem Unterton – zu hören bekomme. Und dabei ist die Polizeidichte pro 100.000 Einwohner niedriger als beispielsweise in Berlin.

Hat München eine besondere Herausforderung?

Einerseits ist München ein sehr reizvolles Dienstgebiet, schon alleine durch die Vielfalt der Aufgaben, die es hier gibt. Dennoch verlieren wir viele Kollegen in andere Regionen Bayerns. Hier bekommen unsere Polizisten eine kleine Ballungsraumzulage von ca. 126 Euro Brutto – und sonst genau dasselbe Gehalt wie Kollegen, die in der Fläche deutlich niedrigere Lebenshaltungskosten haben. Dort gibt es dann eben das günstigere Baugrundstück oder andere Vorteile, wie beim Thema Familiengründung, die in München mit allen finanziellen Konsequenzen oft als Problem betrachtet wird. Das ist übrigens eine in meinen Augen sehr problematische Entwicklung aus einem ganz anderen Aspekt heraus.

Problematisch inwiefern? 

Ich habe ja gerade über soziale Kompetenz gesprochen. Wenn wir, wie derzeit, jährlich 1.800 freie Stellen in Bayern besetzen wollen, müssen wir eine ausreichende Bewerberauswahl haben, um die Besten auszusuchen. Das sind wir der Bevölkerung und unserem Qualitätsanspruch schuldig. Ich kann als Arbeitgeber „Polizei“ nicht wichtige Standards herabsetzen, wie das vereinzelt schon in anderen Bundesländern gemacht wird, nur um das Bewerberfeld zu erhöhen. Bei Schlüsselkriterien wie Stressbelastbarkeit, emotionale Intelligenz, schriftliche und sprachliche Fähigkeiten darf man keine Abstriche machen, nur weil geeignete Bewerber den Beruf in den Ballungsräumen wirtschaftlich als wenig attraktiv empfinden.

Sehen Sie es als wichtige Aufgabe, den jungen Kollegen zu vermitteln, wie wertvoll ihr Job dennoch ist? 

Ja doch, das sehe ich. Und wir stellen fest, dass wir quer durch unsere Belegschaft ein wirklich gutes Ethos bezüglich Selbstbild und der Fragen „Warum bin ich eigentlich Polizist?“ und „Fühle ich mich wohl in meinem Job?“ haben. Das ist auch dem Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä sehr wichtig. Insgesamt sehen wir hier eine hohe Identifikation mit unserem Beruf sowie mit der Arbeit – trotz der Tatsache, dass wir viele Überstunden haben, trotz der Tatsache, dass München ein teures Pflaster ist. Und das führt auch dazu, dass man oft auf Kollegen in anderen Teilen Bayerns trifft, die sagen „Ja, in München war ich auch, war das eine schöne Zeit“.

Aber natürlich ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Es gibt auch Fälle, in denen das Verhalten der Polizei kritisiert wird.

Natürlich gibt es immer auch Zwischentöne, die viele Ursachen haben können. Was man zum Beispiel oft vergisst: Die Kollegen arbeiten acht, neun Stunden, in denen sie häufig von Einsatz zu Einsatz fahren, zwischendurch froh sind, wenn sie ihre schriftlichen Berichte fertigmachen können oder gar noch eine Brotzeit in den Tag passt. Sicherlich gibt es auch mal Sonntagsdienste, bei denen man am Vormittag mal eine halbe Stunde zusammensitzt, aber in der Regel sind alle während der gesamten Zeit im Einsatz. Und weil wir derzeit eben nicht in den einsatzstarken Zeiten überall sofort sein können, erleben sie sehr oft, dass sie erstmal mit den Worten begrüßt werden: „Endlich sind Sie da, ich warte schon seit zwei Stunden.“ Oder sie kommen in Situationen, die für die Beteiligten eine absolute Ausnahmesituation darstellen. Wenn Sie zum Beispiel Geschädigte eines Körperverletzungsdeliktes sind, weil Sie ein Dritter geschlagen hat, dann ist das für Sie etwas Außergewöhnliches und Schockierendes. Wir sehen so etwas leider häufiger, es hat daher nicht dieselbe Schockwirkung und wir müssen erst einmal die emotional aufgeladene Situation beruhigen. Wenn dann ein Kollege vielleicht schon achteinhalb Stunden Dienst hinter sich hat, bei dem es emotional wie auf einer Achterbahn zuging, dann passiert es auch dem Besten, dass er irgendwann etwas direkter wird und der eine oder andere Betroffene sich mit Blick auf die Umstände etwas mehr Zuwendung oder Zeit gewünscht hätte.

Viele würden sagen: „Aber dafür wurden Sie doch ausgebildet?“

Der Bürger hat natürlich zu Recht die Erwartungshaltung, dass wir als Problemlöser oder Hilfsinstanz in jeder Situation immer zu 100 Prozent die Gelassenheit und hohe Kompetenz haben, die er sich von der Polizei erwartet. Aber nehmen Sie einmal ein und dieselbe Situation und drei Leute nebeneinander. Jeder von ihnen wird etwas anderes von der Polizei erwarten. Wir versuchen immer 100 Prozent zu geben und erreichen vielleicht manchmal nur 90. Aber letztendlich steckt immer ein Mensch dahinter, der in zumeist anspruchsvollen Situationen sein Bestes versucht. Aber lassen Sie mich auch andere Aspekte ansprechen – geschimpft ist meist schnell, aber über die vielen Situationen, in denen wir einen durchweg positiven Kontakt mit unseren Bürgerinnen und Bürger haben, spricht man nicht so häufig – eben weil sie der Erwartungshaltung entsprochen haben.

Das ist wahrscheinlich auch der Unterschied zu irgendwelchen Sci-Fi-Szenarien, …

in denen Polizisten nur noch Roboter – dann natürlich ohne jede Empathie – sind, sondern eben doch noch Menschen.

Noch einmal zu Ihnen persönlich. Sie sind zwar kein geborener Münchner, aber schon sehr lange in München. Was gefällt Ihnen denn am besten? 

Ich kenne ja das Polizist-Sein aus zwei Ballungsräumen, aus Köln und aus München. Und ich bin tatsächlich – auch auf die Gefahr hin, dass es ein Kölner Kollege liest – unendlich viel lieber Polizist in München als in Köln. Das hängt mit ganz vielen Gründen zusammen. Ich schätze das Klima bei der Münchner Polizei sehr, auch weil wir gefühlt mehr integraler Bestandteil der Bevölkerung sind als das in Köln der Fall ist, oder zumindest vor 15 Jahren war. Ich mag es sehr, dass die Menschen in dieser Region hier ein gewisses Maß an Gelassenheit haben. Zudem spielt hier das Thema Lebensqualität in der Selbstdefinition der Menschen eine Rolle und auch deren Erkenntnis, dass Sicherheit und Ordnung, wie wir dies in unserer Region erleben, keine Selbstverständlichkeit ist.

Tatsächlich ist ja München auch seit über 20 Jahren die sicherste Stadt Deutschlands mit über 200.000 Einwohnern.

Richtig, das hängt neben einer gut aufgestellten Polizei auch ein Stück weit mit den soziologischen und ökonomischen Grundparametern der Region zusammen. Es liegt aber auch daran, dass städtebaulich in der Entwicklung von Stadt und Landkreis vieles richtig gemacht wurde und es beispielsweise keine „Scherbenviertel“ gibt. München hat weder Kriminalitätsbrennpunkte noch ausgeprägte Angsträume oder „No-go-Areas“. Das Thema Sicherheit ist neben vielen anderen Aspekten einer der Gründe, warum die Region München eine gewisse urbane Art von Wohlfühlatmos-phäre bietet. (Dann schmunzelt er) Gleichwohl bin ich auch froh, wenn ich mal ein bisschen aus der Stadt herauskomme und weniger bis keine Menschen um mich herum habe.

Wir bedanken uns dafür, dass Sie uns …

… durch dieses Gespräch einen sehr persönlichen und überaus menschlichen Blick auf die Polizisten Münchens ermöglicht haben.