"Keine Karotte jagt Dich"

Frank Oehler kennt man als TV- und Sterne-Koch. Was weniger Menschen wissen: er praktiziert regelmäßig ZEN-Meditation und ist Schüler des bekannten ZEN-Meisters Hinnerk Polenski. Und er überträgt die alten Lehren des ZEN für die Küche der Klöster in einen lebendigen Koch-Alltag. Wir haben ihn getroffen und darüber gesprochen.

Wenn Frank Oehler sagt, …

… dass sich Kochen und Zen sehr nahe sind, dann geht es ihm vor allem darum: Sowohl in der Zen-Meditation als auch beim Kochen spielen Respekt, gelebte Achtsamkeit und die Konzentration auf genau das, was man gerade tut, eine große Rolle. Zu esoterisch? Also wenn Frank Oehler die Ruhe des Zen in der Küche erklärt mit „Keine Karotte jagt Dich“, dann klingt das doch recht bodenständig.

Was ist ZEN eigentlich?

Das zu beschreiben ist tatsächlich nicht ganz leicht. Zen-Meister Hinnerk Polenski versucht in einem Buch, das er gemeinsam mit Frank Oehler geschrieben hat, eine Art (kulinarische) Annährung: „Wie kann man die Stadt Rom beschreiben, wenn man nur eine Karte vor sich hat und versucht mit ihrer Hilfe zu reisen? Man schmeckt nicht den Cappuccino auf einer der Piazzi. Man riecht nicht den Geruch des Tiber, man fühlt nicht die Steine der Jahrtausende alten Bauten. Oder wie soll man den Geschmack einer wirklich guten Tomate beschreiben? Einer reifen, saftigen Tomate, frisch vom Strauch, wenn man einfach in sie hineinbeißen möchte? Was fällt uns dazu ein? „Hmmmmmmmm“ – Genau! So ist Zen.Im Zen geht es eben nicht um Definition sondern darum, den eigenen Weg zu finden. Die Übung dazu ist das Sitzen. Das Sitzen in Kraft und Stille, wie es auch genannt wird. In der Zen-Meditation gibt es keine Begleitmusik und keine geführten Anweisungen. Man sitzt tatsächlich in Stille! Die Gedanken sollen dabei nicht zum Alltag abschweifen – was am Anfang nie gelingt. Und das soll etwas bringen? Tja, hier sind wir wieder bei der schwierigen theoretischen Beschreibung.

Der erste Schritt ist Innehalten

Vielleicht ist Innehalten wirklich die einfachste Beschreibung, zumindest für den Anfang der Zen-Praxis. Um in „Kraft und Stille“ zu sitzen, muss ich aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen – und sei es nur für 20 Minuten pro Tag. „Innehalten in der Verstrickung, in der ich mich befinde, in dem Wahnsinn aus Befindlichkeiten, Dringlichkeiten und Anforderungen, die ich selbst und andere an mich stellen“, beschreibt es Hinnerk Polenski im Buch und fährt fort: „Zen und Zazen, das Sitzen in Stille, haben allerdings nichts mit irgendeiner Form von Weltflucht zu tun. Denn Zen ist die Auseinandersetzung mit der Wahrhaftigkeit.“ Und genau hier ist Frank Oehler jemand, der den Gedanken hinter dem Zen auf wunderbare Weise in seiner Wahrhaftigkeit auf seinen Alltag übertragen kann – und damit irgendwie „Appetit“ darauf macht, einen Blick auf diesen Weg zu werfen.

Nichts kommt uns so nahe wie unser Essen

„Lebensmittel sind das Intimste, das uns berührt. Ein Lebensmittel geht einmal durch dich durch“ erinnert uns der Sternekoch. Und es stimmt ja, irgendwie vergessen wir das oft bei all der Akribie, mit der wir uns inzwischen mit Essen beschäftigen: Wir zählen Kalorien, wir schauen auf GLYX-Tabellen, Inhaltsstoffe, Allergene. Wir kaufen Lebensmittel und lesen nur noch Zahlen. Frank Oehler aber fordert: „Wir müssen wieder dazu zurückfinden, dass es um LEBENsmittel geht, im ganz wörtlichen Sinn. Schon deswegen müssen wir uns respektvoll mit Produkten, die wir essen, auseinandersetzen. Ich glaube, am Zustand und am Umgang mit Lebensmitteln kann man viel über den Zustand einer Gesellschaft erkennen. Bei uns werden die Produkte zwar immer elitärer, immer ausgefallener, aber wir kennen sie gar nicht mehr wirklich. Wir wissen nicht, woher sie kommen, wie sie wachsen, wie sie riechen, sich anfühlen und wie sie in ihrer Ursprünglichkeit schmecken. Und wir schätzen daher ihren Wert nicht mehr. Gerade wir Deutschen kaufen das teuerste Motoröl, aber das billigste Olivenöl. Da kann etwas nicht stimmen.“

LEBENsmittel muss man erLEBEN

Frank Oehler empfiehlt, Lebensmittel einmal wieder richtig anzufassen, möglichst mit geschlossenen Augen. „Bei vielen Gemüsen beispielsweise ist es doch unglaublich, wie viele Formen es gibt – von der ovalen, glatten Aubergine über die runde Tomate bis zum Teltower Rübchen. Überhaupt Rübchen – wenn man sich mit ihnen einmal wirklich beschäftigt, sich bewusst macht, wie viele Formen und Farben es da gibt – da dreht man doch durch“, schwärmt er. „Wenn man immer nur fertig geschnittenes Gemüse aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt holt, geht das natürlich nicht. Dort müsste eigentlich immer einer stehen und einem mit so einem kleinen Bambusröhrchen auf die Finger hauen und sagen: Na, und warum jetzt kein frisches Gemüse?“

Jaja, die Ausrede kenne ich

Egal, wer betont, dass es besser sei, frische Produkte zu kaufen, saisonale Produkte zu verwenden, auf die Herkunft zu achten, der bekommt irgendwann von einem ungeheuer schlauen Menschen zu hören: „Ja, aber die Menschen in Großstädten und die Menschen mit wenig Geld können sich diesen Luxus doch nicht leisten oder haben nicht die Zeit, zu den Lieferanten zu fahren.“ Das lässt Frank Oehler nicht gelten: „Zum großen Teil ist das eine faule Ausrede. Natürlich kann nicht jeder für seine Alltagsbesorgungen zu einem Bauern gehen. Und ja, viele Biomärkte sind eher teuer, das kann sich sicher nicht jeder leisten. Aber, und ich weiß, wovon ich rede: In Deutschland wird mehr Zeit mit Kochsendungen vor dem Fernseher verbracht als beim Kochen am Herd, geschweige denn beim achtsamen Einkaufen.“

Auf sich selbst achten

Ob frische Lebensmittel oder der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung, das sind natürlich auch Themen, mit denen man sich ganz ohne Zen beschäftigen kann. „Doch tatsächlich fördert die Zen-Praxis sie“, erklärt Frank Oehler. Es heißt: „Auf Dich achtend, achtest Du auf andere. Auf andere achtend, achtest Du auf Dich selbst.“ Das mag banal klingen, lässt man sich aber einmal auf diesen Satz ein, kann man sich seiner „Wahrhaftigkeit“ – was ist das doch für ein wunderbar altmodisches Wort – kaum entziehen. Und zusammen mit der Achtung geht es letztendlich immer wieder um das Thema Respekt. „Wenn man sich bewusst macht, dass ein Apfel sechs bis sieben Monate am Baum wächst, der Baum wiederum selbst erst einmal wachsen muss, bevor er Blüten trägt, die wiederum von Bienen befruchtet werden, dann muss man diese Wertschöpfungskette einfach respektieren. Dann kann man den Apfel nicht einfach verfaulen lassen, weil man ihn doch nicht braucht, oder anbeißen und dann wegwerfen“, so Oehler.

Liebe ist nicht cool, macht aber gelassen

Wenn man über Respekt und Achtung spricht, dann ist man auch schnell beim Begriff „Liebe“. Und heutzutage spricht man ja – außerhalb von Liebesromanzen – nicht mehr öffentlich von Liebe, das ist „uncool“. Dem kann sich der Sternekoch gar nicht anschließen: „Ich finde, zu lernen, die Dinge liebevoll zu betrachten, bringt einem sehr viel mehr Ruhe und Gelassenheit – DAS ist einfach grandios! Und ich habe genau das über Zen gelernt, denn es bringt dir die Fähigkeit, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es geht um eine neue Aufmerksamkeit. Darum, Produkte, die man früher so oberflächlich behandelt hat, neu zu bemerken und zu empfinden. Den Dingen echten Tribut zu zollen. Und dabei übrigens, ganz nebenbei, im Gehirn einen Schalter umzulegen, der es einem gleichzeitig ermöglicht, aufmerksamer, respektvoller und liebevoller mit Menschen umzugehen.“ Wie auch schon der berühmte Zen-Meister Dogen (1200 bis 1253) in seinen „Anleitungen für den Koch“ schrieb: „Wenn Du Dich um Essen kümmerst, kümmerst Du dich um Dich selbst.“

Wenn ich esse, esse ich

Im Zen gibt es viele Geschichten, die wie Parabeln das Wesen des Zen erklären oder auch zeigen, dass es sich eben nicht erklären lässt, die sogenannten Koans. Einer der bekanntesten ist dieser: Ein Zen-Schüler fragt seinen Meister: „Meister, was unterscheidet einen Zen-Meister vom Zen-Schüler?“ Darauf antwortet der Meister: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.“ Der Schüler ist verwundert: „Wieso, das mache ich doch auch?“ Der Meister antwortet: „Wenn Du gehst, denkst Du ans Essen, und wenn Du isst, dann denkst Du ans Schlafen. Wenn Du schlafen sollst, denkst Du an alles Mögliche. Das ist der Unterschied.“Es geht also darum, sich in einem Augenblick immer auf das zu konzentrieren, was man gerade macht und dieser Tätigkeit seine volle Aufmerksamkeit zu widmen, auch dem alltäglichen Essen.

Die Email wird schon nicht verschwinden

Und das gilt ganz besonders im Restaurant. Frank Oehler kennt das. „Vor lauter Hetze oder wichtiger Gespräche sind Gäste beim Hauptgang eigentlich gedanklich schon beim Espresso, und beim Espresso schon bei der nächsten Email.“ Und hier wird Oehler fast schon missionarisch: „Auf diese Art und Weise wird nichts richtig laufen. Wenn Du isst, dann iss doch. Der Kaffee kommt sowieso, und die Email wird schon nicht verschwinden. Essen ist Gegenwart, und die kann man nicht genießen, wenn man immer in der Zukunft ist. Kosten wir doch, welch unglaublicher Genuss jeder Bissen Essen ist. Manchmal möchte ich genau das Geschäftsleuten sagen, die zu mir kommen und weder zuhören, wenn der Service ihnen die Gerichte bringt und vorstellt, noch wirklich schauen, was sie auf dem Teller haben, geschweige denn, einem Geschmack auch nur ein paar Sekunden schenken. Sie sind meine Gäste und natürlich können sie machen, was sie wollen. Es ist nur so unendlich schade.“

Apropos Missionar: Will Frank Oehler andere bekehren?

„Wenn man merkt, dass einem etwas guttut, und es auch der eigenen Umgebung guttut, dann will man das sicher auch weitergeben. Aber ich laufe nicht herum und fordere alle Menschen dazu auf, sich mit mir hinzusetzen. Aber wenn Sie mich schon fragen … Prinzipiell muss aber jeder seinen eigenen Weg finden. Nur, egal auf welchem Weg man nun geht, Respekt und Achtung vor allem und allen, die uns umgeben, sollten für uns selbstverständlich sein.“

Letztes Jahr musste Frank Oehler aufgrund ausstehender Rechnungen mit seinem Sternerestaurant Insolvenz anmelden. Das Restaurant konnte erhalten werden, sein Küchenchef hat übernommen. Er selbst konzentriert sich auf neue Projekte. Diese Zeit mit großer Stärke zu überstehen, auch hier hat ihm ein Stück weit seine Zen-Praxis geholfen. Aber, wie er im Gespräch immer wieder betont: „Das ist mein Weg. Wenn ich durch meine Aussagen auch nur einen dazu bewege eine Tomate anders zu sehen, dann ist das auch schon gut.“