Man kann von besonderen Menschen auch lernen

Im Gespräch mit Katharina Inselkammer

Mit ihrem Mann Peter betreibt Katharina Inselkammer das Hotel „Platzl“ seit fast 30 Jahren, und gemeinsam führen sie das Armbrustschützenzelt auf der Wiesn. Ende letzten Jahres hat sie sich aber einen Traum erfüllt: ihr eigenes Gastronomieunternehmen – für besondere Menschen. Ein Projekt, für das sie aber ganz sicher kein Mitleid, sondern die Anerkennung für die Qualität der Küche erreichen möchte. Die „KunstWerk-Küche“ im Münchner Werksviertel ist ein Deli und eine Kochschule, sie richtet interne und externe Caterings aus, versorgt Schulen und bietet auch Unternehmen einen Mittagstisch. Trotz dieses vollen Programms und mitten im Endspurt der Wiesnvorbereitung hat Katharina Inselkammer Zeit für ein Gespräch mit uns gefunden.

Wie ist die Idee zur „Kunst-Werk-Küche“ entstanden? 

Wir haben vier Kinder und zwei davon sind in die Montessori-Schule gegangen. Irgendwann war man dort mit der damaligen Speisensituation nicht so zufrieden. Die Kinder sind auch sportlich viel unterwegs, brauchen also eine gesunde, ehrliche Küche. Und die Leitung wusste, dass ich gerne koche … Das war der erste Grundstein dieser Idee. Dazu kam, dass unsere beiden Söhne das Konzept der Montessori-Schule mit einer gesunden Mischung von 22 Kindern, davon jeweils drei besondere, unglaublich gut aufgenommen haben. Und ich habe gesehen, wie gut Inklusion funktionieren kann – die Idee zu meinem inklusiven Gastro-Konzept war geboren.

Wie viele besondere Menschen arbeiten bei Ihnen? 

Manchmal schwankt es ein wenig, aber grundsätzlich derzeit 42 Mitarbeiter, davon 12 besondere.

Müssen denn Ihre Mitarbeiter ohne Behinderung eine besondere Qualifikation haben? 

Jeder, der bei mir anfängt, braucht ein großes Herz. Keiner soll mehr arbeiten, um die Arbeit der anderen zu kompensieren, aber die Zusammenarbeit erfordert Geduld. Einmal kam einer unserer Spüler zu mir und beschwerte sich: „Jetzt hab’ ich es ihr fünf Mal erklärt, was sie machen soll und die kann es nicht.“ Also habe ich ihn gebeten: „Dann erklär’ es ihr nochmal“, und er hat zwar die Augen verdreht, ist aber wieder zurückgegangen. Eine Woche später kam er zu mir und strahlte: „Wissen Sie was? Jetzt habe ich es ihr zehn Mal erklärt und jetzt kann sie es.“ Genau darum geht es eben auch gemäß dem Montessori-Konzept „Hilf mir, es selbst zu tun“. Unseren besonderen Mitarbeitern wird nicht Arbeit abgenommen, sondern wir erklären ihnen, wie sie eine echte Hilfe sein können.

Sie arbeiten vor allem mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Wie wirkt sich das auf deren Leistungsfähigkeit aus? Und wie können Sie sich das leisten? 

Nehmen wir mal ein Beispiel: Im Moment produzieren wir auch gerade Semmelknödel für das Wiesnzelt – derzeit nur für das Armbrustschützenzelt, ich hoffe, im nächsten Jahr vielleicht auch schon für andere. Aber das nur nebenbei. Ein normaler Koch schafft in der Stunde so um die 80 bis 85 Knödel. Da haben wir nun auch eine besondere Dame eingeteilt. Die schafft in der Stunde fünf Knödel, wenn sie sich konzentriert! Hier kann man also nicht mit einem normalen Preis-Leistungs-Verhältnis rechnen. Aber wir müssen etwas anderes sehen: den Menschen, der etwas kann. Und die fünf Knödel in der Stunde sind ein extremes Beispiel. Bei uns arbeitet zum Beispiel auch ein junger Mann, der das Backen für sich entdeckt hat. Da hat ihn früher keiner rangelassen. Mittlerweile macht er uns die tollsten Teige – und es ist kein großer Zeitunterschied mehr da.

Nun gab und gibt es ja auch Behindertenwerkstätten … Was ist der Unterschied zu einem Projekt wie dem Ihren? 

Ja, die gibt es – und das ist auch gut. Aber sie sind meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Denn im Endeffekt ist dieses Trennen ein Wegsperren. Trotzdem bin ich natürlich dankbar, dass es Menschen gibt, die sich dort um andere kümmern. Aber wenn wir es alle zusammen schaffen würden, dass mehr Menschen wie hier ins normale Arbeitsleben inkludiert werden, wenn jeder Arbeitgeber, dem es möglich ist, nur ein bisschen dazu beitragen würde, dann wären wir eine viel freiere, offenere Gesellschaft. Ich habe Gott sei Dank vier gesunde Kinder … Hätte ich nun nicht so viel Glück gehabt, würde ich mir wünschen, dass mein Kind so leben und arbeiten kann wie unsere Mitarbeiter hier. Man ist nicht alleine, jeder sieht jeden, und man arbeitet im Team.

Sie müssen auch unbedingt etwas zur „Sonne im Schneesturm“ erzählen. 

Das gehört zu einem meiner Kernpunkte: Kreativität, Kommunikation und die Kunst, das alles in der Küche zu verbinden und nach außen zu tragen. Wenn wir zum Beispiel Schulen beliefern und ein Gericht wie „Picata Milanese mit Gemüse“ kochen, richten wir das zunächst an, setzen uns dann gemeinsam an den Tisch und ich frage alle: „Wie schaut das denn aus?“ „Wie Sonne im Schneesturm“, mein te ein junger Mann in diesem Fall. Also heißt das Gericht jetzt „Sonne im Schneesturm“. Dann habe ich alle gebeten, nun auch ein Bild von einer Sonne im Schneesturm zu malen, und eine unserer jungen Damen hat eine wahnsinnig schöne gelbe Sonne gemalt, und wir haben das Bild zusammen mit dem Gericht ausgeliefert. Was ist passiert? Der junge Mann hat ein Gericht erfunden, die junge Dame ein Bild gemalt, das von allen gesehen wird – das ist Wertschätzung pur. Und das Schulkind geht nach Hause und erzählt seiner Mutter. „Ich habe heute ‚Sonne im Schneesturm‘ gegessen.“ Das ist doch wunderschön. Übrigens sind die Titel nicht immer so malerisch. Neulich gab es Brokkoligemüse mit Tellerfleisch, das heißt jetzt „Batz mit grünem Dreck“ – aber es wurde mit Begeisterung gegessen.

Sie haben im Vorgespräch schon gesagt, dass Sie viel lernen mussten, aber gerade auch von Ihren besonderen Mitarbeitern viel gelernt haben. 

Das stimmt. Auch mein Chefkoch Oliver Munder ist da eine absolute Bereicherung. Wir zwei machen das jetzt von Anfang an zusammen, und seine ruhige Art ist einfach unglaublich. Beide haben wir sehr viel dazugelernt, denn unsere Mitarbeiter haben ja auch sehr unterschiedliche Einschränkungen. Die sind vor allem im Bereich der geistigen Behinderungen, wobei ich diese einerseits als größere Herausforderung sehe und sie andererseits tatsächlich deutlich zunehmen. Man darf nicht vergessen: Wer heute wegen eines Burnouts (also einer tiefen Depression) eineinhalb Jahre krankgeschrieben ist, ist schwerbehindert. Unsere Belastbarkeit wird in der heutigen Zeit extrem auf die Probe gestellt, auch weil wir verlernt haben, abzuschalten und nicht ständig multitaskingmäßig herumzuwirbeln. Und gerade das lernen wir oft von den besonderen Mitarbeitern – ganz einfach, weil sie Multitasking gar nicht können. Hier arbeitet eine junge Dame, die in dem Moment, in dem Musik im Hintergrund läuft, nichts anderes mehr machen kann, als dieser Musik zuzuhören. Aber das ist doch eigentlich gut. Denn wenn ich mit ihr rede, dann weiß ich auch, dass sie nur mir zuhört und sonst nichts anderes macht. Eigentlich ist das eine große Sache, dass mir die Eltern diese ehrlichen, geradlinigen Menschen anvertrauen, ich sie kennenlernen darf.

Wie ist denn die Akzeptanz Ihres Delis und des Caterings – gibt es Berührungsängste? 

Hier im Deli nicht, aber wenn ich ein Catering ausrichte – vor allem, wenn es mit Service ist –, frage ich immer ganz klar, ob es inklusiv sein darf. Es ist ja nicht so, dass ich „inklusiv“ auf der Stirn geschrieben habe, und ich möchte ehrlich gesagt auch, dass die Leute zu uns kommen oder uns buchen, weil es schmeckt. Ich will kein Mitleid, das finde ich ganz schrecklich, deswegen auch die klare Frage. Vor kurzem hatten wir zum Beispiel ein Catering bei einem Münchner Juwelier, die haben sofort geantwortet „Selbstverständlich!“. Dann waren wir mit 19 Angestellten vor Ort, davon sechs schwerbehindert, und es hat toll funktioniert. So etwas macht mich glücklich, weil es ein Schritt nach draußen ist.So befriedigend solche Augenblicke sind, das ganze Konzept ist keine heile Welt sondern täglicher Kampf, daraus machen Sie auch kein Geheimnis.Ich stoße fast täglich auf Grenzen und auch auf finanzielle Hürden, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Nehmen wir mal das Arbeitsamt. Ich wollte von Anfang an die besonderen Menschen genauso behandeln wie die Nichteingetragenen. Das bedeutet: Wer sich bei mir bewirbt, arbeitet zunächst Probe. Erst dann gibt es einen Vertrag. Das habe ich so gemacht, und dann bin ich zum Arbeitsamt und habe um offizielle Unterstützung gebeten, die ja auch vorgesehen ist. Dort wurde mir allerdings erklärt, ich bekäme nichts, weil ich es „falsch herum“ angestellt hätte. Ich müsse vorher fragen, ob jemand überhaupt Unterstützung bekäme, und ihn erst dann einstellen, sonst würde es so aussehen, als mache ich es nur wegen der Unterstützung. Diese Logik verstehe ich nicht. Wenn ich nur die einstelle, die Unterstützung bekommen, DANN geht es doch offensichtlich genau darum. Die Antwort: „Ja, das mag sein, aber was Sie machen, gibt es noch nicht in dieser Größenordnung, deshalb haben wir noch keine Richtlinie.“

Aber ganz ohne Unterstützung geht es doch nicht! 

Ich glaube an dieses Projekt und habe sehr viel selbst investiert. Aber richtig, ganz ohne Unterstützung geht es natürlich nicht. Unter anderem aus diesem Grund habe ich jetzt den Förderverein gegründet. Damit kann ich dann auch Spendenquittungen ausstellen. Und ich überlege außerdem, ob wir nicht ein oder zwei Charity-Veranstaltungen organisieren sollen, damit ich nicht nur den einen oder anderen Arbeitsplatz bieten, sondern das Gesamtkonzept weiterspinnen kann.

Dazu gehört zudem, dass Sie seit diesem Jahr auch ausbilden. 

Wir haben gerade das erste Tandem geschnürt, sodass ein Mensch mit und einer ohne Behinderungen gemeinsam zur Schule gehen können. Und der nicht behinderte junge Mann ist übrigens auch besonders, denn er ist Flüchtling. Anfangs werden die beiden noch von einer Sozialpädagogin begleitet. Das ist übrigens jetzt erst möglich geworden, da Bayern der Inklusion an Berufsschulen zugestimmt hat. Die beiden sind hochmotiviert und ich könnte mir vorstellen, dass sie sich gegenseitig gut unterstützen.

Wir möchten dieses Gespräch unbedingt nochmals mit dem Hinweis abschließen: In und mit der „Kunst-WerkKüche“ können die Gäste genießen und genussvoll feiern. Dieses Projekt also als Gast oder Kunde zu unterstützen, bedeutet im wahrsten Sinn des Wortes, sich und anderen etwas Gutes zu tun.