Eins, zwei, drei Sterne – fast im Durchmarsch

Nach 27 Jahren hat Jan Hartwig wieder Drei Michelin-Sterne nach München geholt – im Alter von 35 Jahren und vier Jahre nachdem er die Küchenleitung des Restaurant Atelier im Bayerischen Hof übernommen hat. Und das in einer Stadt, in der es durchaus auch andere hervorragende und besternte Häuser gibt. Zum abgehobenen Überflieger hat ihn das definitiv nicht gemacht, ganz im Gegenteil.

Herr Hartwig, was hat sich verändert seit November letzten Jahres und der Verkündung des dritten Sterns für das Atelier? 

An unserer täglichen Arbeit hat sich gar nichts geändert. Aber unsere Gäste sind deutlich internationaler geworden. Und wir sind jeden Abend ausgebucht – was natürlich toll ist. Die Kehrseite davon ist allerdings, dass liebe Stammgäste, die am Mittwoch fragen, ob sie am Freitag einen Tisch bekommen können, enttäuscht werden. Bisher bleiben sie uns trotzdem treu.

Kommt jetzt auch ein kritischeres Publikum? 

Ja, teilweise. Manchmal habe ich aber vor allem den Eindruck, dass seit dieser Auszeichnung Gäste zu uns kommen, die einfach 3 Sterne abhaken möchten, statt einen schönen Abend zu haben und zu genießen. Gottseidank sind das sehr wenige.

Drei Sterne in vier Jahren – hätten Sie sich das träumen lassen? 

Nein natürlich nicht, aber ich finde es auch nicht komplett utopisch. Ich habe mit 18 die Kochlehre gemacht und schon damals immer gedacht: Wenn ich koche, möchte ich ein guter Koch sein. Damit habe ich noch nicht einmal Sterne gemeint, aber mir war ganz klar, dass ich mehr machen wollte, als in irgendeiner Küche irgendetwas zu kochen, nur um meinen Arbeitstag rum zu bekommen. Dann hatte ich das Privileg, dass mein Lehrbetrieb in meinem zweiten Ausbildungsjahr mit einem Stern ausgezeichnet wurde. Damals wurde es mein größter Traum, einmal in einem Drei-Sterne-Restaurant zu arbeiten. Köche wie Eckart Witzigmann, Heinz Winkler oder Harald Wohlfahrt, das waren für mich Lichtgestalten. Ich hatte alle ihre Bücher, habe jeden Schnipsel gesammelt und fand sie großartig. Bei mir hing nie ein Poster eines Fußballspielers im Zimmer, aber ich hatte alles über Eckart Witzigmann.

Den Traum haben Sie sich erfüllt. Zunächst „nur“ in Zwei-Sterne-Häusern, …

… bei Klaus Erfort (bevor der den 3. Stern bekam), bei Christian Jürgens (noch auf Burg Wernberg) und schließlich im 3-Sterne-Restaurant „Aqua“ bei Sven Elverfeld. Haben Sie in diesen Häusern erfahren, was ein, zwei oder drei Sterne sind?

Ich denke, in erster Linie geht es um ein eigenes Profil und um Konstanz, so erklären sie es auch in Karlsruhe bei Michelin. Das hört sich einfach an, ist es aber natürlich nicht. Eine eigene Handschrift zu entwickeln ist schon schwer genug, sie auch noch jeden Tag auf gleich hohem Niveau umzusetzen, ist noch schwerer. Als ich nach München kam, war es schon mein Primärziel den Stern zu halten. Den zu verlieren, das wäre mir richtig unangenehm gewesen – vor dem Haus und vor mir selbst. Schließlich war ich davor sieben Jahre bei Sven Elverfeld, sechs Jahre davon Sous Chef eines Drei-Sterne-Restaurants. Als der Stern blieb, war ich erleichtert. Dass im nächsten Jahr der zweite kam, fand ich sehr, sehr schön, aber es hat mich auch erstaunt. Doch ehrlich gesagt, das Jahr nach diesem zweiten Stern war ich so entspannt wie nie zuvor. Ich wusste, da kommt kein dritter, das wäre zu schnell, und den zweiten nehmen sie dir sicher nicht gleich wieder weg. Dass dann ein Jahr später der dritte kam – da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut, das ist einfach unglaublich. Und auf Ihre Frage zurückzukommen: Hätte mir das jemand prophezeit, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt.

Worin liegt Ihr Erfolg?

Das kann ich nicht genau sagen, aber ich versuche halt immer ein Stückchen draufzulegen, heute nicht besser zu sein als irgendein anderer, sondern besser als ich selbst gestern war. Ich liebe Kochbücher, ich liebe es Essen zu gehen, ich sehe natürlich was andere machen, aber ich denke dann nie: „Ach das muss ich auch mal machen“, oder wenn es einen neuen Trend wie das Fermentieren gibt, „Den muss ich mitmachen“. Und wenn sie jetzt in Skandinavien alle Ameisen auf dem Eis haben – das ist eben nicht meins. Durch Nachahmen entsteht keine Handschrift. Und vielleicht ist das der Grund, warum ich in jungen Jahren nach kurzer Zeit unter eigener Regie ein Profil geschärft habe. Und dazu gehört natürlich auch, dass ich eine sehr gute Mannschaft habe, die mit mir zusammen wirklich eine Konstanz an den Tag legt, die wohl dem entspricht, was eben gefordert ist.

Sie kommen ursprünglich aus Niedersachsen. Drei Sterne in München haben ein Österreicher (Eckart Witzigmann) und ein Südtiroler (Heinz Winkler) gekocht – und jetzt ein Niedersachse! Fühlen Sie sich wenigstens als Münchner?

Also das darf ich mir, glaube ich, gar nicht anmaßen! Aber ich fühle mich als Wahlmünchner willkommen geheißen und kann mittlerweile sagen, dass ich diese Stadt wirklich liebe, jeden Tag mehr. Tage wie heute (24. April, nachmittags, Biergarten am Viktualienmarkt), sowas ist einfach unbeschreiblich, das gibt es nicht in Braunschweig. Der schönste Biergarten, den ich in Niedersachsen kenne, ist der meines Vaters, vor allem aber weil das Zuhause ist. Aber München ist so vielseitig: die Nähe der Berge, gestern haben wir eine grandiose Radtour (immerhin 66 Kilometer) gemacht, tolle Restaurants, der Englische Garten, die Nähe zu den Seen, das wissen Sie selbst alles. Es ist großartig und ich fühle mich sehr, sehr wohl hier.

Was vermissen Sie von zu Hause? 

Wenn ich etwas vermisse, dann sind es alte Schulfreunde und die Familie. Die sind 700 Kilometer weit weg. Mein Bruder hat zwei Kinder im Alter von 10 und 12 Jahren, die würde ich gerne öfters treffen. Jedesmal wenn ich meinen Neffen sehe, ist der gefühlte 20 Zentimeter größer, das ist schon schade. Aber hier in der Stadt, als Stadt, vermisse ich gar nichts.

Sie haben von Anfang an ein „Radler“ in Ihren Menüs. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen? 

Die Ursprungsidee ist diese alte Tradition, als Zwischengang ein Sorbet zu servieren. In meiner Lehre haben wir OrangenGranitée in ein Martini-Glas gegeben, ein bisschen gehackten Basilikum drüber und noch ein Minzblatt reingesteckt, das war damals ganz abgefahren. Oder die klassische Variante: Zitronensorbet, mit Sekt aufgegossen. Ich finde eine Erfrischung vor dem Hauptgang eigentlich ganz cool, aber eben nicht auf die klassische Art. Also wollte ich etwas machen, was nicht so old-school ist und gleichzeitig zur Region passt: In den abgeschnittenen Boden einer Radlerflasche kommt ein Zitronen-Granitée mit Yuzu-Sake, mit Melasse zum Süßen und einer tollen Vanille drin, aufgegossen mit Bier. Man muss dazu vielleicht sagen – als ich das zum ersten Mal gemacht habe, war Wies’n-Zeit, da haben ich und alle anderen in München ohnehin nur an Bier gedacht. Damals kam es bei den Gästen super an, aber irgendwie ist es geblieben.

Was war – abgesehen von den drei Sternen – ­bisher ihr schönstes Erlebnis in München? 

Ich habe ja schon erwähnt, dass ich Eckart Witzigmann immer sehr bewundert habe. Und dass ich ihn hier nicht nur öfters sehe, sondern er mich auch besucht, wir uns austauschen, das schätze ich sehr. Aber ich treffe viele interessante Leute, habe neue Freundschaften geschlossen. Und es gibt so viele schöne Momente hier in München. Jetzt gerade, hier an diesem Platz, bei diesem Wetter, ist es ein schöner Moment.

Drei Sterne mit 35 – wie soll das weiter gehen? 

Ach, es gibt genug zu tun. Natürlich gibt es noch andere Bewertungen aufzustocken. Ich würde gerne international bekannter werden. Was mir aber am wichtigsten ist: Ich möchte einfach gerne zufrieden bleiben dabei. Wenn ich das alles irgendwann als erdrückendes Hamsterrad empfinden sollte, würde ich sofort aufhören und irgendwas anderes machen, es müsste nur immer etwas mit den Händen sein. Soweit bin ich noch lange nicht, aber ich sehe diese drei Sterne nicht als Grund zur Selbstkasteiung sondern als einen Indikator für eine Arbeit. Das wichtigste sind aber die Gäste. Und ich brauche Frau Volkardt als Unterstützerin. Ich brauche ein tolles Team. Ich muss selber gesund sein. Sowohl beim zweiten als auch beim dritten Stern hat mir der Chefredakteur des Guide Michelin gesagt: „Gratulation, machen Sie einfach weiter so, Herr Hartwig.“ Und genau das mache ich. Natürlich möchte ich mich weiter entwickeln, ich möchte die Freiheit haben, morgen Sachen vielleicht ganz anderes zu machen als heute, aber eigentlich geht es genau darum – um auf Ihre erste Frage zurückzukommen, was sich geändert hat. Gar nichts, ich mache weiter so.

Wie erwähnt, muss man derzeit rechtzeitig reservieren, um die Küche Jan Hartwigs kennen zu lernen. Es lohnt sich aber auf alle Fälle, denn unabhängig von drei Sternen: Was er kocht, schmeckt wunderbar.