Isarflimmern im Paradies

Der Isarradweg

Die Isar ist Lebensader, mythischer Ort, historischer Verkehrsweg und Anlass der Gründung Münchens. Heute ist sie von ihrer Quelle im Karwendel bis zur Mündung bei Deggendorf ein erholsamer Naturort, den man in Etappen per Fahrrad mit der ganzen Familie entdecken kann.

Jedes Schulkind kennt die Geschichte. 

Heinrich der Löwe wollte seiner Stadtgründung von 1158 die einträglichen Einnahmen aus dem Salzhandel der Alpen sichern. Kurzerhand lässt er in einer militärischen Aktion die eigentliche Hauptbrücke des Bischofs von Freising bei Unterföhring niederbrennen, um die Handelswege nach München umzuleiten. So konnte sich der kleine Markt stetig zur Residenzstadt entwickeln und viel früher urkundlich erwähnte Orte wie Giesing, Schwabing oder Sendling nach und nach dem Stadtgebiet eingliedern. Man erkennt das Alter dieser Siedlungen an der Wortendung -ing, die noch aus der Zeit der Bajuwaren aus dem 8. Jahrhundert stammt und sich in vielen Ortsnamen der Gegend findet. Die Isar war also nicht nur Verkehrsweg, der heute noch von Flößen befahren wird, sondern auch natürliche Barriere, die Brücken für Städte als Möglichkeit der Zolleinnahmen so wichtig machte. Der erste Schlag über das Wasser erfolgte am Gasteig, wo heute noch die Museumsinsel vom vielfingrigen Charakter des noch nicht regulierten Flusses zeugt. Hier beginnen wir unsere ausgesuchte Etappe ins Oberland auf dem Isarradweg, der in seiner gesamten Länge von der Quelle bis zur Donaumündung 315,9 km beträgt.

Wir wenden uns nach Süden Richtung Bad Tölz …

… und nehmen die 57 km unter die Räder, die uns rund 5 Stunden durch wunderbare Landschaften ins Herz Oberbayerns führen werden. Dabei kann man unser gesamtes Sonnensystem durchqueren, denn im Hof des Deutschen Museums steht auf einer Stele ein Modell unserer Sonne. Hier beginnt ein Weg, der alle Planeten von Merkur bis Pluto in richtiger Entfernung und korrektem Größenverhältnis entlang der Isar bis zum Tierpark Hellabrunn darstellt. Für einen Schritt auf dem Planetenweg müsste man im Weltall mehr als eine Million Kilometer zurücklegen. Die Planeten sind im Maßstab 1:1,29 Milliarden dargestellt. Das heißt, für einen Kilometer auf dem Planetenweg müssen im Weltall 1,29 Milliarden Kilometer zurückgelegt werden. Man muss aber schon darauf achten, nicht an den Modellen vorbeizufahren, denn selbst die größten Planeten sind im Vergleich zum Zentralgestirn winzig und die Entfernungen dazwischen werden immer länger. Würden wir mit Lichtgeschwindigkeit die Strecke zurücklegen, gingen uns allerdings schöne Blicke und sehenswerte Stationen verloren.

Mit der Renaturierung und der Anlage geschwungener und anmutiger Steinstufen haben die Münchner ihren Fluss wieder in Besitz genommen. Im Sommer herrscht ein mediterranes Lebensgefühl auf den breiten Wiesen und unter den grünen Uferbäumen, die von Kirchtürmen und Giebeln herrschaftlicher Häuser aus der Gründerzeit überragt werden. Bald kommt der Flaucher in Sicht mit seiner Brücke, den Schleusen und seinen vielen Armen, die seit jeher die „Riviera“ der Münchner aus den ärmeren Vierteln war. Viele Kinder lernten hier schwimmen, Familien verbrachten die Sonntage hier und zogen abends in die Biergärten, sonnengewärmt und rechtschaffen durstig. Auch heute hat jeder auf den kleinen Inseln seinen Lieblingsplatz, der schon bei den ersten wärmenden Strahlen des Frühlings besetzt wird. Der ganze Radweg dahin führt frei von Kreuzungen unter den wunderbaren Brücken Münchens hindurch, und an seiner Seite gibt es zahllose Möglichkeiten abzusteigen und zur Abkühlung ein Bad zu nehmen. Am Ende des Sonnensystems liegt dann schon der Eingang zum Hellabrunner Tierpark und es ist nicht leicht, seine Kinder davon zu überzeugen, hier nicht Halt zu machen, wenn man am Zaun des Streichelzoos entlang weiter Richtung Bad Tölz fahren will.

Am anderen Ende des Zoos liegt etwas abseits des Weges die Marienklause mit ihrem Kreuzweg aus dem Jahr 1866 versteckt. Ein mythischer schattiger Ort, der einen kurzen Aufenthalt wert ist. Der Erbauer Martin Achleitner war Wassermeister der an dieser Stelle gelegenen Auer Mühlbach-Schleuse. Er erbaute die Kapelle eigenhändig und stiftete sie der Muttergottes zum Dank dafür, dass sie ihn „mehrfach vor dem Tod gerettet“ habe. Macht man übrigens an dieser Stelle einen Abstecher über die Brücke, gelangt man zur Floßlände, an der bis heute die Holzgefährte aus dem Oberland in München anlanden. Schon auf dieser kurzen Strecke könnte man den ganzen Tag verbringen, aber nun lassen wir nach Harlaching (wieder ein -ing!) das Stadtgebiet hinter uns, und bald taucht steil am Hang gebaut die Grünwalder Burg auf. Sie beherrscht an dieser Stelle das Tal und bewacht die wichtige Brücke, die immer schon von Bedeutung war und an deren Fuß mit dem Brückenwirt ein beliebtes Ausflugslokal liegt. Hier führt übrigens auch der bayerische Jakobsweg entlang, auf dem die Pilger am barocken Kloster Schäftlarn mit seiner wunderbaren Kirche nach Andechs abbiegen. Entlang dieses Weges kommt man auch am unheimlich aus dem Wasser ragenden Georgenstein vorbei, ein großer Findling mitten im Fluss, an dem vor der Regulierung durch den Sylvensteinspeicher viele Flöße gescheitert sind, und auf dem bis heute eine Figur des heiligen Georg als Schutzpatron der Flößer zu finden ist.

Vor Schäftlarn gibt es aber noch einen kleinen Geheimtipp zu besuchen. Das Wirtshaus Mühle in Straßlach unten im Tal, das mit seinem kleinen Gastgarten direkt über einer Floßrutsche gelegen ist. Bei dem hausgemachten Schweinebraten kann man dann die feuchtfröhlichen Floßfahrer beobachten, wie sie auf dieser Rinne sausend johlend den Höhenunterschied einer Schleuse überwinden und am Schluss richtig nass gemacht werden – was im Hochsommer höchst willkommen ist. Von jetzt an bis Wolfratshausen wird die Isar zum einmaligen Naturerlebnis. Stille Wälder mit seltenen Blumen und einer vielfältigen Tierwelt ziehen sich in diesem Naturschutzgebiet, in dem eigene Ranger für das richtige Gleichgewicht zwischen Natur und Erholungssuchenden sorgen, entlang bis zur Pupplinger Au. Eine einmalige Flusslandschaft, die immer schon als Nacktbadeparadies im katholischen Bayern berühmt und berüchtigt war. Hier zog sich die Münchner Jugend schon immer zu heimlichen Rendezvous zurück und genoss eine Freiheit, die in den engen Mietshäusern der Stadt nicht möglich war. Man gelangte mit der alten Isartalbahn dorthin. Eine Schmalspurstrecke, deren Kopfbahnhof in Sendling gegenüber dem Großmarkt noch zu sehen ist, und die bis 1959 die Ausflügler bis nach Wolfratshausen brachte. Dies übernimmt heute die S-Bahn, die teilweise auf der alten Strecke verkehrt und noch alte Bahnhofsgebäude wie in Pullach nutzt.

Von der geschäftigen Kreisstadt Wolfratshausen ist es dann nicht mehr weit bis zum Endpunkt unserer Etappe. Das malerische Bad Tölz empfängt den Tourenradler mit seiner sanft geschwungenen Marktstraße mit wunderbaren Gebäuden zu beiden Seiten. Hier war und ist bis heute der Startpunkt für die Holzlieferungen auf der „Reißenden“ („Isaria“ im Lateinischen). Die Kurstadt ist das Tor zu den Alpen und wäre auch der Ausgangspunkt für die nächste Etappe hinauf zum Sylvensteinspeicher bis zur Quelle im Karwendel. In diesem Verlauf ist die Isar der letzte naturbelassene Fluss Deutschlands mit vielfältig mäandernden Armen und einer einzigartigen Flora und Fauna. Das wäre aber ein Kapitel für sich. Man kann nun die Bahn zurück nach München nehmen oder doch noch mal zur Pupplinger Au zurückkehren, um sich in der Abendsonne auf den strahlend weißen Kieselstrand zu legen und dabei der Hommage des Isarindianers Willy Michl zu lauschen. Sein „Isarflimmern mitten im Paradies“ ist das perfekte musikalische Portrait dieser Traumlandschaft und eine Hymne, die für jeden echten Münchner das leichte Lebensgefühl an den Ufern der Isar in bluesige Töne fasst. Als Vorbereitung auf diese Radtour auf Youtube unbedingt zu empfehlen. Dann summt man das Lied auf der ganzen Strecke und ist von Anfang an in der richtigen Stimmung.