Im Wald baden

Gesundheit erleben in sattem Grün

Im Wald – hier ist der Geist auf angenehme Weise beschäftigt, der Blick wandert, und in der kühlen Luft treffen unterschiedliche Duftmoleküle aufeinander. „Shinrin Yoku“ heißt der Gesundheitstrend aus Japan. „Waldbaden“ heißt das Angebot, das in ganz Deutschland, Österreich und Italien immer populärer wird, übersetzt bei uns. Was dahintersteckt und warum uns der Aufenthalt im Wald guttut, verraten wir hier!

Big in Japan

Das Schöne vorneweg: Waldbaden geht immer – unabhängig von Jahreszeit oder Wetter.

Wer selbst eintauchen will in die grüne Erholung, braucht keine Badehose; im Frühjahr sind Mütze und Handschuhe aber als wärmende Begleiter ganz nützlich. Macht der Wald gesund? Klare Antwort: „Ja“, sagt Irmi Baumann, Naturcoach und Bergwanderleiterin. „Und es ist nicht mehr nur ein Gefühl. Längst wurde die Gesundheit aus und mit dem Wald auch wissenschaftlich erwiesen.“ Shinrin Yoku ist der Name der Therapie, die ihre Wurzeln in Japan hat. Schon in den 1980er Jahren führte das japanische Landwirtschaftsministerium die Therapie des Waldbadens ein und förderte dabei ein millionenschweres Forschungsprogramm, das die medizinische Wirkung des Waldbadens nachweisen sollte. Mit Erfolg: 2006 eröffnete das erste Zentrum für „Waldtherapie“. Japanische Universitäten bieten seither für Mediziner eine fachärztliche Zusatzausbildung in „Waldmedizin“ an. Die Gesundungsaufenthalte im Grünen werden verordnet, um Burn-out oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu behandeln. Auch in Europa setzt man verstärkt auf die gesundheitsfördernde Erholung im Wald. Mittlerweile sind die Gesundungs- und Entspannungskräfte des Waldes in den Angeboten der Wellnesshotels angekommen. Auf Usedom, im Ostseebad Heringsdorf, wurde letztes Jahr sogar der erste europäische „Kur- und Heilwald“ eröffnet. Als „Naturapotheke“ für Gesunderhaltung, Rehabilitation und Prävention sollen in den Kaiserbädern auf der Insel Usedom die 187 Hektar Wald genutzt werden. Die Verbindung von Wald- und Seeklima soll besonders gesundheitsfördernd sein.

Gesund durch Wald …

Die Vorzüge des Waldes gibt es jedoch nicht nur in Küstennähe.

Was ist es aber dann, was uns im Wald gesundmacht? Wer in die angenehme Atmosphäre des Waldes eintaucht, wenn sich die Wipfel der Bäume im Wind wiegen, wenn der Boden raschelt oder knarzt, der merkt schnell: Der Wald tut einfach gut, beruhigt und bietet eine Auszeit vom Alltag. „Zum einen ist es das Klima im Wald, das sogenannte Waldinnenklima. Im Vergleich zu einem Spaziergang an der Isar ist es – gerade im Sommer sehr spürbar – im Wald kühler. Dabei schützt das Kronendach der Bäume vor Sonneneinstrahlung. Aber auch die Verdunstung der Bäume kühlt und sorgt zudem für eine höhere Luftfeuchtigkeit. Zum anderen filtern die Bäume Staub und Schadstoffe aus der Luft. Die Luft ist reiner im Wald“, erklärt Irmi Baumann. Jeden Dienstag bietet sie ShinrinYoku-Kurse in Münchner Wäldern an. Dabei wird nicht unbedingt ein Baum umarmt. Zum Kursprogramm gehören aber eine kleine Meditation, Atemübungen und Barfußlaufen – den Verkehrslärm ausblenden, und dafür bewusst in die Waldatmosphäre eintauchen. „Neben Sauerstoff geben die Bäume auch ätherische Öle und Duftstoffe ab, sogenannte Phytonzide. Diese Pflanzenwirkstoffe wirken bei uns Menschen ausgleichend und gesundheitsfördernd. Und in der Farbpsychologie steht Grün für Harmonie. Grün gilt als Symbolfarbe des Lebens. Es beruhigt die Nerven, reguliert den Blutdruck, das Immunsystem wird gestärkt“, fasst Irmi Baumann zusammen. Die Farbe soll außerdem helfen, Stress und psychische Belastungen abzubauen.

… wissenschaftlich bestätigt

Die positive Wirkung des Waldes lässt sich wissenschaftlich belegen.

Es sind die Botenstoffe der Bäume, denen der japanische Forscher Qing Li eine wichtige Bedeutung zuschreibt. Er hat die Wirkung der Terpene untersucht, chemische Verbindungen, eben diese Phyton- zide, die Pflanzen zur Kommunikation und Feindabwehr nutzen. Diese Terpene können wir zwar nicht wahrnehmen, sie haben aber dennoch auf unsere Gesundheit eine positive Wirkung, vor allem bei längeren Aufenthalten in einem Nadelwald. Studien besagen, dass der Wald uns nicht nur zum Stressabbau und Energietanken hilft, er soll auch unsere Immunabwehr stärken.„Beim Betreten des Waldes interagiert unser Körper mit den Terpenen auf höchst gesundheitsfördernde Weise. Das Einatmen bestimmter Terpene produziert sogenannte ‚Killerzellen‘, eine Form weißer Blutkörperchen. Unser Immunsystem wird dadurch gestärkt, und wir sind besser vor Infekten geschützt“, bestätigt Dr. Christine Müller, ärztliche Leiterin im SPA des Wellness-Refugiums vom Hotel „Das Kranzbach“. Sie empfiehlt deshalb: „Bei jedem Wetter rausgehen, in den Wald. Denn bei Nebel oder nach Regen gibt es besonders viele Terpene in der Waldluft. Bereits ein einziger Tag im Wald steigert die Zahl dieser natürlichen Killerzellen im Blut um fast 40 Prozent.“

Für wen ist Waldbaden geeignet?

„In meinen Shinrin-Yoku-Kursen, …

… einmal wöchentlich in Münchens urbanen Wäldern, biete ich ein regelmäßiges Training mit Übungen aus dem Naturcoaching sowie aus der Natur- und Wildnispädagogik an, die die Wirkungen des Waldes auf die Gesundheit unterstützen und die Sinne aktivieren. Shinrin Yoku ist frei von Bewertungen und festgesteckten Zielen und für jeden Menschen geeignet – für den vielbeschäftigten und gestressten Manager ebenso wie für Mütter oder Senioren“, erzählt Irmi Baumann.

Und tatsächlich sind Menschen, die sich vom Alltag gehetzt fühlen, die idealen Waldbadenden. Im Wald können sie abschalten, entschleunigen und sich vom Stress lösen. Einzige Voraussetzungen: Interesse an der Natur, Spaß am Draußensein und sich auf die Übungen einzulassen.

„In meinem Leben habe ich den täglichen Waldspaziergang als Ritual eingeführt. Für mich bedeutet der Wald Ruhe, Erholung, Einkehr, Lebensfreude – aber auch Inspiration. An einem Bürotag spüre ich spätestens am Nachmittag, dass ich meine Auszeit im Wald brauche. Schon nach kurzer Zeit merke ich, wie sich meine Unruhe legt und ich regelrecht ‚auftanke‘ – körperlich und mental.“

Doch kann der Wald mehr als Wellness?

Auch wenn die japanischen Wissenschaftler mit den positiven Effekten des Waldbadens inmitten von Pinien, Zedern und Lerchen recht haben, wie sieht es mit der Wirkung von unseren heimischen Eichen, Birken und Nadelhölzern aus? Einigkeit herrscht zumindest darin, dass der Wald uns Menschen guttut. In den 1980er Jahren prägte der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson dafür den Begriff „Biophilia“, die Liebe zu allem Lebendigen. „Die Landschaft im Wald ist vielfältig und birgt noch dazu viele Überraschungen. Mit jedem Wimpernschlag, in jedem einzelnen Moment nehmen wir neue Bilder auf. Was erwartet mich hinter der nächsten Biegung oder wie sieht es hinter der nächsten Kuppe aus? Es gibt unzählig viele Eindrücke, und gleichzeitig werden unsere Sinne (wieder) aktiviert: Gerüche, Geländebeschaffenheit, das Wechselbad der Temperaturen, wenn wir durch den Wald oder entlang der Waldlichtung laufen. Gleichzeitig geraten alte Gedankenmuster und Strukturen in den Hintergrund. Wir können ‚abschalten‘ vom Alltag und schaffen dabei Platz für neue Betrachtungen und Ideen, sind bereit für Reflektionen“, erklärt Irmi Baumann.

Waldspaziergang oder Waldbaden?

Was ist denn nun Waldbaden?

Auch wenn wir nicht ins Wasser gehen, beschreibt der deutsche Name des Shinri Yoku, was dabei passiert: Wir baden in der Atmosphäre des Waldes, konzentrieren uns auf die Sinne und tauchen in den Wald ein. Ob dann nicht ein Spaziergang den gleichen Zweck erfüllt? Beim Waldbaden geht es um Entschleunigung, um das Abstandfinden vom Alltag und das bewusste Sich-Einlassen auf die bezaubernde Ruhe, gerne unter Anleitung eines Therapeuten. Zwar kann auch Spazierengehen entspannend wirken, die Geschwindigkeit aber ist eine andere. Beim Waldbaden nimmt man sich Zeit, setzt sich hin und betrachtet die Natur auch einmal aus der Nähe. Vielleicht sucht man sich sogar in regelmäßigen Besuchen einen individuellen Shinrin-Yoku-Weg aus, auf dem man immer wieder läuft.

Wie Shinrin Yoku korrekt praktiziert wird, darüber gibt es keine Entscheidung; vieles ist möglich.

Es gibt Gruppen, die gemeinsam in den Wald gehen, sich an einen Baum setzen und die Ruhe spüren. Aber auch Gymnastik, Yoga und Meditation können als feste Bestandteile in die Therapiestunden eingebaut werden. In Japan können sogar Sägearbeiten dazugehören.

Der Gang in die Natur wird zum Trend

Wer Waldbaden und die wohltuende Kraft des Waldes selbst erleben will, kann dies an zahlreichen Orten tun.

Man braucht keinen Heilwald, auch die urbanen Wälder Münchens sind dafür geeignet. Immerhin gibt es in München 1.356 Hektar Wald; das sind 4,4 Prozent des Stadtgebietes. Dazu gehören der Forstenrieder Park, der Grünwalder und der Perlacher Forst, Forst Kasten und die Pupplinger Au, aber auch der Riemer und der Truderinger Wald.

Angeleitete Kurse gibt es von freien Trainern und Therapeuten, aber auch Hotels und Wellnesszentren haben die Heilkraft der Wälder für sich und ihre Kunden entdeckt. In vielen Regionen Deutschlands können Erholungsbedürftige Kurse mit geschultem Personal buchen. Auf die heilsame Wirkung der unmittelbaren Umgebung setzt man zum Beispiel im Hotel „Das Kranzbach“, am Fuß der Zugspitze. Das Hotel und Wellness-Refugium liegt auf einer 130.000 Quadratmeter großen Wiese voller Bergblumen und -kräuter. Daran schließen sich weite Wälder zu Füßen des Kranzbergs und der Zugspitze an. Während ihres Aufenthalts können Gäste dort ausgedehnte Spaziergänge, Wanderungen und Radltouren unternehmen oder täglich an geführten Nordic-Walking-Touren teilnehmen.

„Waldbaden als Wohltat“ ist dort ein umfangreiches Wellnessangebot im Grünen betitelt.

Die Angebotspalette reicht von Yoga-Einheiten auf einer Meditationsplattform, traumhaft gelegen auf einer Lichtung im Kranzbachwald, bis hin zu Natur- und Waldwanderungen. Dabei geht es über Buckelwiesen und Waldwege zu den schönsten Plätzen in der Umgebung. So lässt sich die Natur wirklich mit allen Sinnen genießen: Kräuter schmecken, Blumen pflücken oder Barfuß gehen auf dem Waldboden für ein besonderes Walderlebnis. „Der Wald wirkt wie ein Therapeutikum. Bei uns hat der Gast die Chance, Teil dieses Kraftfeldes zu werden, wieder aufzutanken und sich neu auszubalancieren“, erklärt Dr. Christine Müller, ärztliche Leiterin des SPA im „Kranzbach“. Kein Wunder, ist der Kranzbachwald doch völlig naturbelassen. Lärm und Hektik gibt es hier nicht. „Der Aufenthalt in diesem Mikroklima auf 1.030 Metern Seehöhe führt zu einem ruhigeren Puls und wirkt blutdrucksenkend. Die Terpene des Waldes wirken wie kleine Medikamente.“

Für welches Angebot man sich auch entscheidet – Wellnessaufenthalt, Meditation oder das Bad im Grünen ganz allein –, wir müssen uns mit allen Sinnen auf das Abenteuer in der Natur einlassen, uns auf alle Sinne konzentrieren. Eine der wichtigsten Übungen: die Geräusche und Gerüche des Waldes wahrnehmen, ruhig und mit geschlossenen Augen.