Elegante Linien

Die Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts waren krisengeschüttelte Jahre, in denen moderne Konzepte in Kunst, Design und Architektur die Zeitenwende der Moderne einläuteten. Der gestalterische Wandel zeigte sich auch im Wunsch nach Luxus.

Man nannte sie die „Goldenen Zwanziger“, …

… aber es waren harte instabile Jahre.

Ein alter Kontinent nach einem nie gekannten Krieg, ein verwundetes Land mit dem gewagten Experiment der ersten Demokratie. Und doch war Aufbruch zu verspüren, während Inflation und Wirtschaftskrise die Menschen hart trafen. Es war diese neue Freiheit, die bei allen materiellen Entbehrungen nie gekannte Freiräume schuf und den Wunsch, eine neue Welt zu gestalten, erwachen ließ. Ein starkes Symbol waren die selbstbewussten Frauen, die zum Beispiel in Deutschland erstmals freies Wahlrecht hatten. Sie entledigten sich des einengenden Korsetts, die Kleider wurden leichter und fließender und der Kurzhaarschnitt war mehr als ein Modetrend. Ikonen wie Coco Chanel mit der Erfindung des „kleinen Schwarzen“ waren nicht einfach nur innovative Modeschöpfer, sondern Revolutionäre der überkommenen Rollenbilder. Ein schlagender Beweis, dass innovative Gestalter und Designer dieser Welt mehr als nur Dinge zum Konsum erschufen, sondern mit ihren Entwürfen der eleganten Linien das neue Bewusstsein und Lebensgefühl der sich emanzipierenden Käufer verändern und auszudrücken halfen. Die Welt hatte bei allen Problemen Lust auf etwas Luxus, Bequemlichkeit und eine mondäne Leichtigkeit, die für fast alle erreichbar sein sollte.

Die Architektur spielte in dieser Epoche eine große Rolle, …

… die auch in München ihre innovativen Spuren hinterließ.

Sie verließ den reinen Repräsentationsbau für alte Eliten und schuf Bauwerke, die einen hohen öffentlichen Nutzen hatten. Heute gehen wir etwas achtlos an ihnen vorbei, denn sie heischen nicht nach Aufmerksamkeit, sondern erfüllen bis heute ihren Zweck in zurückhaltender Eleganz. Das Backsteinhochhaus in der Blumenstraße mit seinem Pater Noster, noch heute als Teil der Stadtverwaltung genutzt, oder die berühmte Borstei, das wie ein eigenes abgeschlossenes Viertel mit Läden und sonstiger Infrastruktur entworfen wurde, zeigen idealtypisch durchdachte Stadtplanung, die für die einfachen Bürger da sein sollte. Einem innovativen und doch kaum bekannten Geist sei hier ein kleines Denkmal gesetzt. Der Architekt Robert Vorhoelzer, ehemals Leiter des Baureferats der Münchner Postdirektion, schuf für diesen alltäglichen Dienstleister elegante geschwungene Zweckbauten, die bis heute wegweisend in Ästhetik und Funktion sind. „Neue Sachlichkeit“ klingt dabei viel zu kühl und technokratisch, wenn man die innovative Fassade mit seiner organischen Wölbung am Goetheplatz oder die Rotunde des Verteilzentrums an der Arnulfstraße sieht, das mittlerweile zu einem der beliebtesten Veranstaltungsorte in zentraler Lage umfunktioniert wurde. In allen Vierteln hat dieser Neuerer der Moderne solche Beispiele uneitlen Gestaltungswillens hinterlassen, die sich durch Ausdrucksstärke mit klaren Linien und hoher Materialqualität auszeichnen.

Dies gilt auch für den maßgeblichen Interiorstil dieser bewegten Jahre, das Art Déco.

Es erlebt nach 100 Jahren gerade wieder eine Renaissance, da seine zurückhaltende Eleganz gepaart mit ausgesuchten Materialien den Nerv der Zeit trifft, ansprechende Objekte mit Nachhaltigkeit und Zeitlosigkeit kurzlebigen Trends vorzuziehen. Dem Art Déco liegt interessanterweise kein eindeutiges Stilelement zu Grunde. Er ist vielmehr ein fast intellektueller Ausdruck dessen, was wir heute als „Klassische Moderne“ bezeichnen. Nach den Jahren in den Stahlgewittern des ersten Weltkrieges, wurde hier der Sehnsucht nach Schönheit, Leichtigkeit und Harmonie Ausdruck gegeben. Es war auch die große Zeit von Künstlerikonen wie Picasso, Matisse und Braque, die mit neuen Formen und Farbgebungen spielten und so ihren Einfluss auf die Ornamentik des Stils, die sowohl floral als auch geometrisch sein konnte, ausübten. Ursprünglich nahm der Trend wie so vieles seinen Anfang in Frankreich, das bis dahin führend in modernen Utopien war. Wir verbinden aber das Art Déco heute auch stark mit Amerika, wenn wir an Romanfiguren wie den „Großen Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald oder die klare Formgebung eines Empire State Buildings mit seiner unverwechselbaren Wandgestaltung des Foyers denken. Es ist diese Mischung aus eleganten Linien, raffinierten Verzierungen, hochwertigen Materialien und starken Farben, die gerade in die Gestaltung des Interior Einzug gehalten haben.

Es gab viele Bezeichnungen damals, oft wurden auch …

… die Begriffe „Style Moderne“ oder „Jazz Age“ verwendet.

So fiebrig und aufregend wie die Musik der Nachtklubs war auch das private Leben mit seiner Lust auf Luxus und etwas Exklusivität. Eine materielle Utopie, die sich natürlich in den sogenannten „Goldenen Zwanzigern“ kaum einer leisten konnte, aber so wie der Eskapismus der aufwändig inszenierten Revuefilme eines Fred Astaire bot das Art Déco eine einzigartige Wunschkulisse. Am treffendsten hat das Lebensgefühl dieser Zeit Woody Allen in seinem Film „The Purple Rose of Cairo“ inszeniert, in dem sich eine ärmliche Titelheldin in einem dunklen Filmsaal in diese elegante Welt wegträumt. Schöne Frauen in fließenden Gewändern mit stilvoll gekleideten Gentlemen, die sich auf teuren Ottomanen dem luxuriösen Leben hingaben und mit den berühmten „weißen Telefonen,“ die einem ganzen Filmgenre ihren Namen gaben, zu Besuchen von mondänen Nachtclubs verabredeten. Daher verwundert es nicht, dass aktuell Luxushotels das Art Déco und den Twenties Style wieder für sich entdecken. So hat gerade das berühmte Hotel Sacher in Wien seinen Salon authentisch bis ins Detail als Hommage an diese bewegten Zeiten umgestaltet. Hier kann nun jeder Besucher bei exquisiten Köstlichkeiten einen Kurzurlaub in die Twenties unternehmen, inklusive der Variationen des Kultgetränks jener Zeit, dem Absinth.

Wie bereits erwähnt, gibt es für das Art Déco keine eindeutige Stildefinition.

Es vereint Elemente des Klassizismus und Jugendstils mit der Funktionalität der Moderne.

Einzig typisch ist die Verwendung von starken Stoffmustern und -farben, die aus dem beginnenden internationalen Tourismus in alle exotischen Länder der Welt ihre sinnliche Inspiration zogen. Diese zahllosen unerschöpflichen Quellen machen den Stil so zeitlos und verleihen ihm eine vorher nie gekannte internationale Note. Ausschlaggebend sind die ausgesuchten eingesetzten Materialien. So hat der klassische Art-Déco-Tisch eine Marmorplatte oder verwendet andere hochwertige Natursteine. Aus fernen Ländern stammten die verwendeten Hölzer und waren Ausdruck der Sehnsucht nach der Ferne. Poliertes Palisander oder auch heimischer Nussbaum mit starker Maserung sind bis heute ein absolutes Must, wenn es darum geht, diesen Stil wieder aufleben zu lassen. Ein Trend, der schon seit Jahren durch die Interior-Szene zieht, hat auch hier seine Wurzeln. Dramatische Metalleffekte mit glänzenden Oberflächen als Akzent sind eine Erfindung dieser Zeit. Chrom, Kupfer, Gold und Edelstahl waren Materialien, die in dieser industriell geprägten Zeit ihren Weg in die Häuser und Wohnungen der, heute würde man sagen, Trendsetter fanden. Es ist der futuristische Einfluss dieser Bewegung, der sich in den gradlinigen geometrischen Flächen dieser Baustoffe zeigt.

Als Kontrast zu dieser materiellen Härte sind die Sitzmöbel mit bequemen fast flauschigen Stoffen bezogen.

Samt in all seinen Farbnuancen oder Velours …

… in verschiedenen Qualitäten sorgen für die gewünschte Behaglichkeit, in der man mondäne Abende im Freundeskreis verbringen möchte. Kräftige Farben wie Dunkelblau und -grün setzen sich von pastelligen Tönen bei anderen Wohntextilien wie zum Beispiel den Vorhängen ab. Wichtig sind auch kleinere Objekte wie Lampen, Kerzenhalter und ähnliches, die nicht ornamental überladen, sondern mit gewagteren Grundformen spielen. Selbst Kronleuchter waren zu dieser Zeit en Vogue, allerdings nicht kristallglänzend, sondern geschwungen aus industriellen Materialien. Man darf nicht vergessen, dass zu dieser Zeit die Elektrifizierung in der Welt ihren Einzug hielt. Daher mussten neue Formen gefunden werden, die warme Lichtatmosphären ermöglichten, die sonst von unzähligen schwachen Kerzen geschaffen wurden. Natürlich waren sie nur für die hohen Decken des gehobenen Bürgertums geeignet, das sich in diesen Jahren endgültig vom oft überladenen, schwülstigen Interior der Fürsten- und Adelshäuser emanzipierten. Prägend sind für diese Zeit dazu die geometrisch und zugleich mit floralen Mustern, etwa der Acanthusblüte, gewebten Stoffe, die als Wandbespannung oder Textilaccessoires wie Decken und Tücher unser Bild der Zeit in seiner Anmutung bestimmen. Man wollte moderner, eigenständiger in der Einrichtung sein, doch selbstbewusst auch einen etwas zurückhaltenden Luxus demonstrieren.

Dieser Mix aus klarer Moderne und geschwungener Eleganz,

puren Materialien und opulenten Farben übt bis heute die Faszination des Art Déco aus.

Der Stil setzt einen selbstbewussten Kontrapunkt zu den minimalistischen Strömungen der Zwanzigerjahre, wie etwa dem Bauhaus mit seiner industriellen Sichtweise, das ein soziales Konzept für alle mit innovativem Design verband. Es speist sich aus großbürgerlichen Traditionen und findet doch seine ganz eigene Sprache, die sich aus einer Sehnsucht dieser turbulenten Zeit nach etwas Luxus und ausgelassener Lebensfreude nährt. Dies war vielleicht der unbewusste Tanz auf dem Vulkan, das unbestimmte Gefühl der Vergänglichkeit, und so verwundert es nicht, wenn die Blütezeit des Art Déco wie abgeschnitten mit der verheerenden Weltwirtschaftskrise von 1929 endet. Die Utopie war verschwunden, das optimistische Lebensgefühl löste sich auf. Die heutige Renaissance nach 100 Jahren ist mehr als eine gestalterische Hommage an einen Stil. Es ist ein Wunsch nach zeitloser Eleganz in unserer Epoche, die von einem Modetrend zum anderen hetzt, und die Reminiszenz an ein Lebensgefühl, das sich selbstbewusst, mondän und lebenshungrig gab. Natürlich in einem angenehmen Rahmen, an dessen eleganten Linien entlang man sich in manchmal anspruchsvollen Zeiten orientieren kann. Ein Stil, der für Optimismus und Hoffnung auf eine neue Zukunft stand.