Der Maître de Parfum im Gehirn

Bei der Suche nach einem neuen Duft entscheidet nicht die Nase, …

… sondern das Gehirn.

Wie es uns bei der Auswahl beeinflusst, was Düfte noch alles können außer gut zu riechen und die neuesten Trends in der Parfümerie hat uns der international bekannte Duftpsychologe Dr. Joachim Mensing in einem Gespräch erläutert. Tauchen Sie ein in die atemberaubende Welt der Duftpsychologie …

Und welches Parfüm haben Sie heute aufgelegt? Einen warmen Duft, vielleicht mit holzigen Noten, passend zum Herbst? Oder etwas Blumiges? Oder war Ihnen heute eher nach etwas zitrisch Frischem? Wenn ja, dann können wir Ihnen sagen, wonach Ihnen heute Morgen der Sinn stand. Ja, Sie lesen richtig! Heute möchten sie aktiv und dynamisch rüberkommen, als Powerfrau. Voller Energie und Kraft. Nein, wir sind keine Hellseher. Wir haben uns lediglich die neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zunutze gemacht.

Zitrusdüfte wirken vitalisierend

Wissenschaftler haben mittels bildgebender Verfahren (Magnetresonanztherapie, MRT) dem Gehirn quasi beim Riechen zugeschaut und dabei etwas Spektakuläres festgestellt: Einzelne Hirnregionen scheinen bestimmte Duftvorlieben zu haben. „Auf Zitrusnoten zum Beispiel spricht der orbitofrontale Cortex an“, erklärt Dr. Joachim Mensing.

„Mit ihm hat man nicht nur den „Maître de Parfum“ im Gehirn entdeckt, …

… sondern auch den Suchort für das Zitrische – …

… eine interessante Duftrichtung, in der unter anderem Bergamotte vorkommt. Wie man aus der Historie weiß, waren es vor allem die Macher, die großen Herrscher, die sich Bergamotte fast literweise über den Körper geschüttet haben“, erzählt der Duftpsychologe. Dazu passt, dass der orbitofrontale Cortex der Sitz der Extraversion ist, dem Wunsch, sich aktiv, dynamisch und offen zu erleben – eine der Dimensionen unserer Persönlichkeit. Wenn man also das Gefühl hat, es geht nichts vorwärts, alles plätschert so dahin, dann ist man besonders offen für Zitrusnoten, denn sie bieten dem Gehirn eine Beschleunigung. Bisher sind vier Regionen im Gehirn bekannt, die bestimmte Düfte zuerst riechen und sich von ihnen stimulieren lassen. „Das wiederum erklärt unsere Duftwahl und die Tatsache, dass wir mit Parfüms nicht unbedingt unsere Persönlichkeit unterstreichen, sondern unsere Erlebenswünsche erfüllen möchten“, so Mensing, der als Koryphäe auf seinem Gebiet gilt. Man spricht dann von „Wirkparfüms“.

Milchmoussenoten sorgen für Wohlbefinden

Die drei anderen Regionen befinden sich im limbischen System, dem Zentrum, in dem die Emotionen gesteuert werden. Da ist zum einen die Amygdala, unser tiefster Kern im Emotionszentrum, auch Mandelkern genannt. Sie hat einen direkten Zugang zu unserer Nase. Die Amygdala wird vor allem aufgebaut zwischen Mutter und Kind beim Säugen. Hier entsteht ein Urvertrauen; durch den Geruch der Muttermilch und der Mutterbrust erlernen die Babys, sich zu entspannen.

„Und jetzt wird es hochinteressant:

In neueren Untersuchungen wurde festgestellt, dass auch auf Erwachsene diese Hautmilch-Gerüche beruhigend wirken und ihnen fast kindliche Wohlgefühle bereiten“, so Mensing.

„In der Parfümeriesprache sind das die sogenannten Milch- bzw. Milchmousse-Noten. Diese werden im Moment immer populärer, weil immer mehr Erwachsene, auch sehr erfolgreiche Menschen, sich bewusst oder auch unbewusst für einen Duft entscheiden, der ihnen Tiefenentspannung bringt, quasi Düfte gegen den Seelenschmerz. Das sind genau die Gerüche, auf die die Amygdala anspricht, die sie olfaktorisch beruhigen: Haut- und milchig-warme Gerüche, mit Vanille, mit weißen Moschusnoten – eine Komposition, die an die Muttermilch erinnert. „Wenn die Amygdala eine Weile Unruhe verspürt, man das Gefühl hat, irgendetwas stimmt nicht, dann ist man besonders offen für diese Milchmousse-Noten“, so der Duftexperte.

Blumendüfte gegen Stress

Die Amygdala wiederum ist eng verbunden mit dem Hippocampus, auch Seepferdchen genannt. Er ist zuständig für unser Lang- und Kurzzeitgedächtnis, das heißt er speichert unsere Erinnerungen, auch die Dufterinnerungen. Der Hippocampus ist extrem stressanfällig. „In der Neuroparfümerie hat man nun herausgefunden, dass Blumennoten, vor allem weiße Blüten, aber auch Tee-noten, mit Vorliebe vom Hippocampus gerochen werden. Überraschend dabei: Je mehr Stress jemand erlebt, desto eher springt der Hippocampus darauf an“, so Mensing.

Also kann man mit bestimmten Düften seinen Stress reduzieren und so indirekt auch sein Verhalten ändern?

„Ja. Blumennoten wirken „entstressend“ und laden die Trägerin auf entspannende Duftreisen ein.

Allerdings muss sie natürlich bereit sein, sich darauf einzulassen! Ein Duft ist ja kein Manipulationsmittel! Er darf den Effekt wie ein erstes Glas Wein haben, aber nicht mehr.“ Könnte man also in die Parfümerie gehen und nach einem Duft fragen, der einen selbstbewusster und stärker wirken lässt, statt nach einem Duft, der die Persönlichkeit unterstreicht? Auch diese Frage bejaht Mensing, der einige Male im Jahr in München psychologische Duftberatungen an exklusiven Beauty-Countern anbietet. „Immer mehr Verbraucher erwarten, dass ein Duft mehr kann, als nur schön zu riechen. Sie möchten einen Duft, der für sie wirkt, der dazu beiträgt, ihre Erlebenswünsche zu erfüllen. Welcher Duft unterstreicht meine Persönlichkeit, ist nicht mehr die relevante Frage. Denn jeder befindet sich ja im Prozess. Man hat quasi viele Ichs.“

Gourmanddüfte helfen beim Abnehmen

Das vierte große Zentrum in seiner Bedeutung für die Duftwahl ist der Hypothalamus. Er steuert nicht nur den Sexualtrieb und das Durst- und Hungergefühl. Er ist auch unser Genusszentrum. Den Hypothalamus kennt jeder in Aktion: Wenn man abends im Bett liegt und plötzlich kommt der Gedanke auf: Irgendwo im Haus muss es doch noch Schokolade oder Eis geben … „Seine Vorliebe sind Gourmand- bzw. Genussnoten“, weiß der Duftpsychologe. „Dies sind die perfekten Düfte, wenn man auf Diät ist. Ein Gourmandduft hilft dabei, dem Gehirn etwas vorzugaukeln. Inzwischen gibt es sehr raffinierte Kompositionen, die herrlich nach Schokolade, Cappuccino, Karamell und anderen Köstlichkeiten riechen.“ Sein Tipp: Das Parfüm als Taschenspray mitnehmen und zwischendurch aufsprühen. So klappt’s mit der nächsten Diät! Während bisher Blumennoten die gefragteste Duftfamilie waren, nehmen die Gourmanddüfte nun schwer Kurs auf und sind nach Aussage Mensings gerade dabei, die Blumendüfte zu überflügeln.

In der Duftbar der deutschen Durchschnittskundin stehen ungefähr acht bis zwölf Parfüms. Wobei es die eine Gruppe gibt, die selten wechselt und einen Duft über einen langen Zeitraum verwendet, und die andere, die sehr häufig zwischen verschiedenen Duftrichtungen wechselt. Mensing erklärt dies so: „Es kann ja durchaus sein, dass ein Erlebenswunsch längere Zeit bestehen bleibt. Andererseits ist so vieles im Fluss. Im normalen Tagesleben muss ich oft so viel sein. Das kann man einem einzigen Duft gar nicht zumuten. Manche kaufen einen Duft aber auch, weil der Flakon so hübsch aussieht, ihn die beste Freundin empfohlen hat oder es der neueste Duft einer bekannten Modemarke ist. Das ist dann psychologisch gesehen ein Sozialduft. Die zweite Kategorie sind die Privatdüfte, die gehen unter die Haut. Die braucht man für sein Erleben. Beide haben eine Wirkung: Die einen kauft man für sich, die andere für mehr Außenwirkung.“

Neue Trends

Ein neuer Trend bei Düften ist nach Aussage des Duftexperten das Thema Genussnoten. Inzwischen gibt es auch immer mehr Gourmanddüfte für Herren. „Das ist psychologisch und soziologisch hochinteressant, denn es sagt auch etwas darüber aus, wie Männer sich erleben wollen.“Der zweite große Trend sind die Milchmousse-Noten. Daran ist abzulesen, wie sehr Duft und Zeitgeist zusammenhängen. Wir leben zwar immer noch in der Hochkonjunktur, aber es ist für die meisten Menschen anstrengend, viele sind permanent im Stress, müssen Familie und Beruf unter einen Hut bringen …

Da wünscht sich so manch einer die Kinderzeit zurück:

wohlbehütet, sorgenfrei und unbeschwert.

Genau dieses Urgefühl vermitteln diese Duftkompositionen. In unterschiedlichen Zeiten erleben sich die Menschen in unterschiedlichen Rollen. Das Frauenbild ist zum Beispiel heute ein anderes als in den 1950er-Jahren, als die Frauen für ihre Gleichberechtigung kämpften und darum, nicht mehr den Mann fragen zu müssen, ob sie arbeiten gehen dürfen. Diese Veränderung hat man laut Mensing als erstes in der Nischenparfümerie gesehen: bei den Damenparfüms kamen die Oudnoten und die Holz- und Chyprenoten auf, feinherbe Noten aus der Herrenparfümerie.

Ist Ihnen das auch schon mal passiert, …

… dass gleich mehrere Kolleginnen das gleiche Parfüm benutzen wie Sie? Am liebsten hätte man seinen Lieblingsduft ja exklusiv, ganz für sich allein. Und damit kommen wir zum dritten Trend in der Parfümerie: Duft-Layering. Sie möchten Ihren eigenen Duft kreieren, wissen aber nicht wie? Zum einen gibt es immer mehr Hersteller, die ihre Düfte direkt für das Layering konzipieren, zum anderen können Sie Ihren Privatduft ganz einfach selbst herstellen. Hier die Tipps von Dr. Joachim Mensing: Zitrisch-grüne Düfte harmonieren besonders gut mit orientalischen Noten, Gourmandnoten passen gut zu Blumennoten, wobei die Gourmandnote meistens die schwerere ist. Entscheidend ist, den leichteren Duft immer zuerst aufzusprühen, am besten im Verhältnis 1:2. So entstehen äußerst raffinierte Kombinationen! Layering eignet sich auch gut, wenn jemandem eine Note zu heftig ist oder ein Duft nach einer Weile nicht mehr gefällt. Hier sind der Experimentierfreudigkeit keine Grenzen gesetzt, auch im Mischverhältnis nicht. Einfach aus Kaffeefiltern Duftstreifen zuschneiden und los geht’s … Für einen grauen Wintersonntag die perfekte Beschäftigung.

Zwar sind in Herbst und Winter verstärkt warme Düfte gefragt, …

… doch auch hier emanzipieren sich die Verbraucher nach Mensings Aussagen immer mehr. Holzige und edle Oudnoten sind wunderschöne Herbst- und Winterdüfte. Doch bei manch einem stellt sich mit dem Herbst auch der Herbstblues ein: graue Novembertage, Regenwetter, man schwelgt noch in Erinnerungen an den Sommerurlaub. Da kommt schon mal ein Stimmungstief auf. Und dann tut Frische gut. Der Duftexperte, der auch an der Entwicklung des Klassikers „Cool Water“ von Davidoff beteiligt war, erzählt schmunzelnd, dass nach dem guten Start des Duftes einige vorhergesagt hätten, dass der Umsatz sicher im Winter zurückgehe. Doch genau das Gegenteil sei der Fall gewesen. „Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf den Weihnachtsmarkt, und riechen auch noch genauso. Das kann schnell zu viel sein. Da fühlt man sich mit einem Kontrastduft oft besser. Ich glaube, auch im Winter braucht man seine olfaktorischen ‚Lebensretter‘, also leichte, frisch-zitrische Düfte mit einer stimmungsaufhellenden Wirkung.“

Übrigens:

Forscher sehen im Riechen eine Form des Gehirnjoggings. Es soll sogar effektiver sein als Sudokus lösen. Insofern: Gehen Sie mit offener Nase durch die Welt bzw. durch die Parfümerien …