Buon Cammino

Wer zu Fuß auf den alten Pilgerwegen nach Rom wandert, den begleitet dieser Gruß auf allen Wegen von den Alpen bis in die Heilige Stadt. Seit Jahrhunderten machen sich Gläubige auf den Weg, Italien und seine Spiritualität einmal ganz anders zu erleben.

Langsam erhebt sich die Sonne …

… wärmend über die hügelige Landschaft nördlich von Rom.

Die Vögel begrüßen singend den neuen Tag und ein leichter Wind vom Meer bewegt das hohe Gras der Weiden, auf denen sich weiße Rinder mit langen Hörnern und freilaufende Pferde gemächlich bewegen. Eine Schar Pilger aus ganz Europa macht sich vom wundervollen Ort Formello aus auf zur letzten Etappe in die ewige Stadt. Nach einem liebevoll bereiteten Frühstück in der pittoresken Pilgerherberge des beschaulichen Ortes erwandern sie die letzten Kilometer der Via Francigena, des klassischen Pilgerwegs. Schon kann man die ewige Stadt am südlichen Horizont erahnen, doch der Weg windet sich noch durch eine ursprüngliche Landschaft, die fern unserer modernen Hektik liegt. Das Hochplateau des Parco di Veio gilt es zu überqueren, bevor der tosende Verkehr der Via Cassia den Pilger in die Gegenwart zurückholt. Hier stand einst eine der mächtigsten Städte der Etrusker, bevor die Römer eine der größten Errungenschaften dieses Volkes dazu nutzten, die Befestigungen zu überwinden und die Stadt bis auf die Grundmauern zu zerstören. Denn um das antike Veii mit ausreichend Wasser zu versorgen, gruben die Etrusker große Bewässerungstunnel in den Tuffstein, und durch dieses architektonische Wunderwerk drangen die Legionen ein, um den Konkurrenten um die Vorherrschaft in Latium zu besiegen.

Heute ist die Via Francigena …

… eine Straße des Friedens und des Miteinanders.

Der „Frankenweg“ ist der älteste Weg nach Rom, der wohl bereits um 500 n. Chr. Pilger nach Italien führte. Erstmals taucht die Bezeichnung im Jahr 867 auf. Aber die Gläubigen des vor Kurzem erst zur Staatsreligion erhobenen Christentums nutzten wohl schon um 300 n. Chr. das perfekt ausgebaute Straßennetz des Imperiums, um die Gräber von Petrus und Paulus aufzusuchen und um ihr Seelenheil zu beten. Schnell entstanden entlang der Strecke Pilgerunterkünfte, aber mit dem Untergang des Römischen Reichs verfiel die Infrastruktur, das Reisen wurde extrem unsicher und die Anzahl ging drastisch zurück. Der heutige Verlauf geht auf einen Reisebericht des Erzbischofs Sigerich von Canterbury zurück, der sich von England über Frankreich im Jahr 990 auf den Weg machte. Die 80 Stationen seiner Reise hielt Sigerich schriftlich fest. Das Dokument wird heute in der British Library in London aufbewahrt. Setzt man eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 20 Kilometern pro Tag an, sind für die insgesamt etwa 1.600 Kilometer lange Distanz zu Fuß 80 Tage durchaus realistisch. Durch ganz Frankreich und über die Alpen zog sich die Via Francigena, bis sie im Aostatal italienischen Boden erreichte. Bald teilte sich der Weg in eine Route entlang des Meeres an Lucca und Carrara vorbei und eine Strecke über den Apennin. Letztere gilt heute als die klassische Variante, die mit den herrlichen Orten der Toskana, Umbriens und schließlich Latiums die eindeutig reizvollere der Routen ist. Historische Städte wie Siena oder Montefiascone und anmutige Landschaften wie der Bolsenasee lassen den Reisenden alle Spielarten der Regionen in aller Ruhe erleben, bis er schließlich mit Viterbo eine der letzten Stationen vor den Mauern Roms erreicht, an dem die vielfältigen Pilgerwege zusammenlaufen.

Lange Zeit war der Weg eine der europäischen Hauptverkehrsadern von Nord nach Süd

Die Bedeutung der Via Francigena …

… schwand dann mit der Macht der deutschen Kaiser in Italien, dem Aufstieg der Städte Genua, Pisa und Florenz, die diese weiträumig umgingen, und der Verlagerung der Warenströme auf die alten römischen Straßen (Via Aurelia und Via Cassia), die jetzt den wirtschaftlichen Gegebenheiten besser zustattenkamen. Das Ende der ökonomischen Bedeutung war dann auch das Ende der ökonomischen Bedeutung der nur an ihr liegenden Städte wie zum Beispiel San Gimignano mit seiner spektakulären Silhouette der alten Geschlechtertürme. Es ist kaum zu glauben, aber ähnlich wie der Jakobsweg nach Santiago de Compostela erlebte die Via Francigena ihre Renaissance erst wieder um 1990. Das veränderte Bewusstsein der Entschleunigung, der inneren Einkehr und des sanften Tourismus fand in diesem Trend zur Pilgerschaft seinen wohl nachhaltigsten Ausdruck. Mit dem Boom der Pilgerwanderungen ging eine lange Zeit des Vergessens zu Ende. So erlangte die Route 1994 endlich vom European Institute of Cultural Routes – auf Antrag des italienischen Tourismusministeriums – als „Europäische Kulturstraße“ und 2004 als „Major Cultural Route of the Council of Europe“ die gebührende historische Bedeutung. Damit begann auch ein kleiner Kampf der Städte und Gemeinden um die historische Streckenführung wegen der wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich nun eröffneten. Für den Pilger ist dies nur von Vorteil, denn der Ausbau von Übernachtungsmöglichkeiten und das Werben um die Besucher aus aller Welt schreitet stetig voran, ebenso wie die Möglichkeiten, sich vorab zu informieren und die ganz persönliche Wegstrecke festzulegen. Empfohlen sei hierzu die Website www.via-francigena.com. Dort erhält man Infos auf Deutsch zu den über 500 Unterkünften, dazu detaillierte Wanderkarten und in den Foren auch sonst nützliche Informationen aus erster Hand von Pilgern, die die Strecke bereits gegangen sind. Eine andere Website, die auch vielfältige Varianten aufzeigt, ist www.jakobsweg-pilgern.de/nach-rom-pilgern. Hier gibt es sogar einen Online-Routenplaner.

Für den deutschen Pilger, …

… der den Umweg über Frankreich vielleicht etwas übertrieben findet, gibt es eine alternative Route von ähnlicher historischer Bedeutung: die Via Romea.

Entstanden ist sie im 13. Jahrhundert mit ihrem Ausgangspunkt Stade. Sie ist noch ein kleiner Geheimtipp und führt ziemlich genau vertikal von Stade nach Süden über Österreich und den Brenner und trifft erst auf dem letzten Abschnitt westlich von Viterbo auf die Via Francigena. In seiner Beschreibung des Reisewegs von Abt Albert von Stade sind unter anderem folgende Stationen aufgelistet: Celle, Braunschweig, Hornburg, Wernigerode, Gotha, Schweinfurt, Würzburg, Rothenburg, Dinkelsbühl, Augsburg, Oberammergau, Partenkirchen, Mittenwald, Innsbruck, Bozen, Venedig, Ravenna und Orvieto. Allein diese unvollständige Aufstellung macht klar: Hier ist ein Pilgerweg, der neben dem spirituellen Erlebnis ein kulturelles Highlight an das andere reiht. Auf www.viaromea.de erhält man einen Eindruck von der Vielfalt dieser wundervollen Reise in die Geschichte. Natürlich gibt es hier auch ein Unterkunftsverzeichnis, nützliche Tipps und Veranstaltungshinweise entlang der Route. Dort kann man Gleichgesinnte kennenlernen und sich von dem Virus des Pilgerns anstecken lassen. Jede Teilstrecke ist für sich ein Erlebnis, und so kann man – falls man nicht alles auf einmal in Angriff nehmen möchte – seine Route in selbstgewählte Zeitabschnitte unterteilen. 

Einem besonderen Teilstück gebührt eine gesonderte Erwähnung

Von Florenz über Assisi bis Rom führt der Franziskusweg

Auf den Spuren des Heiligen wandert man durch besonders schöne Landschaften bis zum Sitz seines Namensvetters Papst Franziskus. Wer die Lehre des Ordensgründers kennt, weiß von seiner besonderen Naturverbundenheit, die ihn sogar den Vögeln der Toskana predigen ließ. Über 500 Kilometer in vier Wochen zu gehen, stellt eine echte Herausforderung für den Körper und den Kopf dar. Viele Höhenmeter überwindet man, dafür durchwandert man unberührte Natur, und immer wieder wird man an Klöstern vorbeikommen, die viel von der Geschichte des heiligen Franz von Assisi erzählen. Besonders bei Radfahrern ist die Strecke beliebt, und es gibt eine alternative Route zum Fußpilgerweg mit guten Teerstraßen und Schotterwegen, ruhigen Landstraßen und einsamen befestigten Wegen. Man gelangt gleichermaßen an die wichtigen Sehenswürdigkeiten (www.franziskusweg-italien.com). In Rom selber gibt es direkt beim Vatikan Möglichkeiten, sein Fahrrad sicher unterzustellen und eine günstige Unterkunft zu finden. Das dortige deutschsprachige Pilgerbüro (www.pilgerzentrum.net) kümmert sich um alles – ein kompetenter Ansprechpartner auch für Pilger, die den langen Fußmarsch scheuen und einfach nur die Heilige Stadt erleben wollen.

Doch nun zurück zu den letzten Kilometern der historischen Via Francigena

Noch sind wir im Parco di Veio …

… und wandern über blühende Wiesen, unter denen die uralten etruskischen Ruinen und Gräber im Tuffstein im ewigen Schlaf der Geschichte ruhen. Im Morgendunst taucht schon fern die majestätische Kuppel der Peterskirche auf, doch der Weg ist noch weit. Denn nun verlassen wir die menschenleere Idylle und nähern uns der Via Cassia, jener alten Römerstraße, die heute noch nach Norden aus der Stadt führt. Mit einem Schlag taucht man nun im tosenden Verkehr der Metropole unter und sucht sich seinen Fußweg durch den Verkehr. La Storta heißt der kleine Ort, durch den sich die manchmal für die vielen Autos viel zu enge Straße windet. Und hier im italienischen Alltagstrubel findet sich am Wegesrand eine kleine Kapelle, in der Ignatius von Loyola eine seiner Visionen hatte, die zur Gründung des Jesuitenordens führte – an jedem anderen Ort eine exponierte Sehenswürdigkeit, in Rom eine selbstverständliche Alltäglichkeit in dieser an Schätzen so reichen Stadt. Gegenüber in einem einfachen Haus findet sich die wunderbare „Vineria 1636“, ein kleiner ausgesuchter Ort echter römischer Gastlichkeit mit einfacher Küche und erlesenen Weinen vor allem aus der Region. Auf der kleinen Holzterrasse lässt man noch einmal den Verkehr an sich vorbeirauschen und träumt von den ruhigen Tagen in den Feldern und Wäldern Latiums, bevor die nette Wirtin einem das letzte „Buon Cammino“ hinterherruft, wenn man die finale Etappe bis zum Monte Mario unter die Füße nimmt und dort endlich die ewige Stadt Rom unter sich erblickt – wie so viele erschöpfte Reisende und beseelte Pilger seit Jahrhunderten.