Auf den Spuren der Samurai

Japanischer Schwertkampf verlangt ein Grundmaß an Ausdauer, Körperbeherrschung, Kraft und Geduld. Japanischer Schwertkampf, egal ob traditionell oder in der modernen Version des Kendo, schult aber auch den Geist und sorgt für die charakterliche Festigung. Körperliche Fitness, geistiger Anspruch und dabei Entspannung? Das geht!

Im Dojo, der Trainingshalle, herrscht absolute Stille.

Kein Laut dringt über die Lippen der Schüler.

Hoch konzentriert erwarten sie den Befehl des Sõke, ihres Lehrers. Alle Muskeln sind angespannt, die Sinne geschärft. „Yoi“! Zu Deutsch: Mach Dich bereit. Wie ein Samuraischwert durchschneidet der Befehl auf Japanisch die Luft in der Trainingsstätte – ein kurzes Zischen, ein Lufthauch. Die Kämpfer haben das Schwert gezogen und den ersten Schritt gemacht.

Ein Hauch Japan weht durch die Sporthallen.

Der japanische Schwertkampf, in der altehrwürdigen Variante der japanischen Kriegskunstschulen oder moderner im Kendo, hat Einzug gehalten in unsere Kampf- und Turnsportvereine. Knapp 4000 Menschen in Deutschland trainieren die japanische Schwertkunst, die trotz der martialischen Kämpfe, der Schläge, Schreie und der scharfen Schwerter zu den verletzungsärmsten und respektvollsten Sportarten gehört. Es ist wohl die tiefe Philosophie, die hinter dem Schwertkampf steht und die jedem Sportler auch den Respekt dem Gegner gegenüber abringt. Es geht um Geduld, Selbstdisziplin, um Beherrschung des Körpers und des Geists und die technischen Anforderungen. Die Festigung des eigenen Charakters, die eigene Vervollkommnung, und die strenge Einhaltung der traditionellen Regeln im Dojo gehören ebenso dazu.

Kendo, die moderne Variante des japanischen Schwertkampfs, spielt mit Macht.

Zwar geht es (nicht mehr) um den Kampf Gut gegen Böse, die Macht spielt dennoch eine große Rolle: Wer es schafft, sich auf seine Form zu verlassen und den Gegner zu fokussieren, zeigt Macht und besiegt den Kontrahenten mit seinem selbstbewussten Auftreten.

Selbstverteidigung und Angriff mit Schwert

Fast zwei Millionen Menschen praktizieren den Schwertkampf, Kendo ist Nationalsport in Japan. Mit langer Tradition. Denn wie viele der japanischen Kampfsportarten, reichen auch die Ursprünge des Kendo bis lange vor das 9. Jahrhundert nach Christus zurück. Bis ins 17. Jahrhundert war der Schwerkampf jedoch nur den japanischen Rittern, den Samurai, erlaubt und verlor durch den politischen Wandel dann erst einmal an Bedeutung. Kendo und damit das wichtigste Symbol der Samurai, das Schwert, wurde verboten. Erst Jahre später besann man sich in Japan zurück auf die Traditionen, Kendo wurde so erfolgreich wie nie. Mitte der 60er Jahre brachten die ersten Begeisterten den Trend nach Deutschland. Vor allem Judo-Sportler gehörten zu den ersten Anhängern.

Doch Kendo und auch …

… die anderen Spielarten des japanischen Schwertkampfs sind weit mehr als eine Sportart. Sie sind ein Weg, eine Philosophie für das gesamte Leben. Sie lehren Respekt, moralische Stärke und Entschlossenheit. Die geistige Ausbildung des Lernenden steht im Mittelpunkt. Das beschreibt schon die letzte Silbe des Namens, das „do“: der Lebensweg. Ein kurzlebiger Fitness-Trend, gespeist aus der Begeisterung für Martial-Arts-Filme? Im ersten Moment, mag sein. Wer den Schwertkampf jedoch in seiner Tiefe begreifen und verstehen möchte, kann dies nur tun, wenn er sich voll und ganz darauf einzulassen vermag.

Den Gegner mit der eigenen Aura verunsichern

Es geht darum, den Gegner zu fühlen, ihn mit der eigenen Aura zu verunsichern. Die Fußarbeit kann bereits unter Druck setzen, dass der Schlag mit dem Schwert nur noch den Kampf besiegelt. Allein durch die geistige Kraft soll der Gegner zu einem Angriff provoziert werden, um den ersten Schnitt erfolgreich setzen zu können. Der Gegenangriff erfolgt unmittelbar. Eine Verteidigung gibt es beim Kendo nicht, vielmehr stellt man sich Konflikten ganz offen. Im Sport wie im realen Leben. Ein Treffer ist auch nur dann gültig, wenn er mit Überzeugung ausgeführt wird.

Das Training ist hart …

… und verlangt den Sportlern vieles ab. Belohnt aber gleichzeitig mit vielen Eigenschaften, die vor allem auch für das tägliche Leben, beruflich wie privat, von unermesslichem Nutzen sind: körperlicher und geistiger Ausdauer, erhöhter Aufmerksamkeit, Geschick und Entschlusskraft, Konzentration, Reaktionsvermögen, Selbstdisziplin, Teamgeist und Verantwortung und nicht zuletzt Fairness.

„Ich merke das im beruflichen Alltag, …

… ich bin über die letzten Monate deutlicher und direkter meinen Kunden und Auftraggebern gegenüber geworden“.

Holger Sommer praktiziert japanischen Schwertkampf seit einem Jahr, in der traditionellen Variante. Koryu-Bujutsu heißt die alte Schule der Kriegskunst. Das Training – es ist viel mehr als ein körperliches Programm – geht zurück auf die Lehren der über 800 Jahre alten Schwertkampfschule Hokushin Ittō-Ryū; neben der Schwertkampfkunst stehen hier schnelle Schwertzieh-Techniken ebenso auf dem Stundenplan wie waffenlose Techniken und freies Sparring. Leiter der internationalen Schule, die ihr Hauptquartier in München hat, ist Ōtsuka Ryūnosuke Taira no MasatomoDer Soke (Großmeister) in 7. Generation ist gebürtiger Münchner; sein Lebenslauf liest sich wie eine Geschichte aus Hollywood: Mit 13 liest er die Samurai-Geschichten, mit 15 kommt er zum Schwertkampf, mit 18 zieht er nach Japan, um in einer Koryu, der altehrwürdigen japanischen Kriegskunstschule zu lernen. Und ihm gelingt, wovon nicht nur Japaner träumen. Der Soke erkennt sein Talent und seine bedingungslose Leidenschaft, bildet ihn aus, adoptiert ihn und übergibt ihm dann die Leitung der Schule. Dazu gehört noch viel mehr: die Weiterführung der Philosophie, der Lehre der Koryu. Und so ist der Münchner der erste Nicht-Japaner in der japanischen Geschichte, der die Autorität einer traditionellen japanischen Kampfkunstschule innehat.

Holger Sommer trainiert drei- bis viermal pro Woche …

… in seinem Dojo in der Münchner Flößergasse. Ihn begeistert, wie das Dojo geführt wird, was er lernt und wie sich das Gelernte auf sein Leben auswirkt. Seinen Weg beeinflusst. „Es geht um absolute Körperspannung, jede Bewegung ist exakt einstudiert. Kraft wird nur da eingesetzt wo sie im entscheidenden Moment notwendig ist. Kein Millimeter wird zu viel preisgegeben, die Kraft wird gespart“.

Holger Sommer ist Modedesigner und Modejournalist.

Früher war er Leistungssportler. Zum japanischen Schwertkampf ist er über eine persönliche Begegnung mit dem Soke der Münchner Koryu gekommen. Die tiefe Überzeugung, mit der dieser die Philosophie der Schule präsentiert und lebt, hat ihn beeindruckt. Im Training wechseln die „Samurai-Schüler“ Holz- und scharfe Schwerter ab. „Man lernt Techniken, mit denen man Menschen töten kann“. Dieses Bewusstsein macht einen, aus der auf den ersten Blick gefährlichen Sportart, dem Leben und dem Gegenüber besonderes respektvoll. Von Anfang an.

Der Schwertkampf festigt und stärkt den Charakter – auch im realen Leben außerhalb des Dojo. Der philosophische Background gibt mir einerseits eine bestimmte Gelassenheit im Geschäftsleben, andererseits bin ich straighter. Meine Zeit ist mir zu schade“.

Die Bewegungen sind feingliedrig und schnell, …

… sie erfordern Körperspannung und ein besonderes Körperbewusstsein. Holger Sommer betreibt nebenher Ausdauer- und Krafttraining. „Zum traditionellen Schwertkampf gehören Techniken und Bewegungsabläufe, die uns Europäern vielleicht auf den ersten Blick fremd sind, die aber das Körperbewusstsein ungeheuer beeinflussen.“ Es geht darum, Körper, Geist und Schwert in Harmonie zu bringen. Meditation ist ein fester Bestandteil der japanischen Kampfkunst. „Schwertkampfkunst ist kein Fitness-Trend. Körper und Geist werden gestärkt und gestählt, der Background dahinter ist aber zu niveauvoll für eine bloße Trendsportart. Schwertkampf macht man aus Überzeugung.

Zur Einsteigerausrüstung gehören an Kleidung: Hakama, Shitagi, Gi, Obi, Tabi. Ein Bokuto/Holzschwert, für Battōjutsu ein Shinken/Katana. Für den Bereich Kendo kommt zu der Kleidung noch ein Bōgu und das Shinai hinzu.