100 Jahre jung

Das Bauhaus war eine der einflussreichsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts. Vor 100 Jahren entstand dieses einmalige Labor für Architektur, Kunst und Design, das unsere Realität bis heute mitprägt.

1918 endete nicht nur das Gemetzel des ersten Weltkrieges.

Ein ganzes Zeitalter ging unter, Reiche und Dynastien verschwanden von der Landkarte Europas. Das zaristische Russland, die Monarchie Österreich-Ungarn, das osmanische Reich und das verhältnismäßig junge Deutsche Kaiserreich endeten krachend. Aber nicht nur poltische Umwälzungen fanden statt, auch das Denken, wie die Welt in Zukunft menschlicher gestaltet werden könnte, änderte sich gerade in der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, radikal. Das Wilhelminische Zeitalter mit seiner rückwärts gewandten verschnörkelten Architektur und seinem antiquierten Kunstverständnis wurde vom Sturm der Geschichte weggefegt. Zahlreiche Künstler, Gestalter und Baumeister wollten gerade für die Menschen, die in diesen Jahren unter oft unwürdigen Bedingungen gehaust und geschuftet haben, eine neue Welt entwerfen. Lichtdurchflutete, funktionale Architektur sollte die gerade in Großstädten wie Berlin vorherrschenden muffigen und finstren Mietskasernen ersetzen. Möbel sollten nicht mehr in schwerem Holz und kitschiger Ornamentik die Lebensräume verfinstern, Alltagsgegenstände ein elegantes und doch funktionierendes Design erhalten. Die neue Freiheit der Demokratie mit Frauenwahlrecht, Presse- und Redefreiheit und das Ende des preußischen Militarismus sollte in einer eigenen Ästhetik Ausdruck finden. Dafür gründete Walter Gropius 1919 das interdisziplinäre Bauhaus als innovative Kaderschmiede der Moderne.

Wie die junge Republik in Weimar gegründet, ist das Bauhaus bis heute mit der kleinen Stadt Dessau verbunden.

Nur eine Autostunde von Berlin entfernt, ist sie der gewollte Gegenentwurf einer menschenwürdigen Existenz fern der alten Strukturen auf der Suche nach einer neuen Urbanität. Zwischen den Jahren 1925 bis 1932 hat diese Institution ihre Blütezeit erlebt. Alle drei Direktoren, Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe, haben das Bauhaus geprägt, und nahezu alle Bauten, die in Dessau entstanden sind, zählen heute zu den Ikonen der Architektur des 20. Jahrhunderts. Die Stadt war in den 1920ern ein aufstrebender Industriestandort – mit dem Bürgermeister Fritz Hesse, dem Ingenieur Hugo Junkers und dem Landeskonservator Ludwig Grote als treibende Kräfte. Als das Bauhaus Weimar im Jahr 1924 aus politischen Gründen verlassen musste, hatten sich auch andere Städte wie Frankfurt/Main, Darmstadt und Magdeburg um das Bauhaus als Hochschule für Gestaltung beworben. Dessau ging damals als Sieger hervor. Sie bauten hier eine Hochschule auf, an der junge Menschen über das Lernen mit und am Material ihre künstlerische Kreativität entfalten sollten. Dabei ging es weniger um das künstlerische Einzelwerk als um Alltagsgegenstände, die in Zusammenarbeit mit der Industrie hergestellt werden sollten. Daraus entstand das Gros der bekanntesten Produkte und Bauten, die das Bild des Bauhauses bis heute prägen – von Marcel Breuers Stahlrohrmöbeln über Marianne Brandts Aschenbecher und dem Stahlhaus bis zum meistverkauften Erzeugnis: der Bauhaustapete.

Der theoretische Unterricht wurde auf eine breitere Basis gestellt …

… und andere Fächer wie zum Beispiel Ingenieurwissenschaften, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre in das Lehrprogramm eingebunden. Eine interdisziplinäre Ausbildung, wie es sie heute nicht mehr gibt und die doch so wünschenswert wäre. Absolventen schlossen ihre Ausbildung mit einem Bauhaus-Diplom ab. Im Werkstattflügel des Gebäudes arbeiteten Maschinen, während in der Bühnenwerkstatt das moderne Theater entwickelt wurde. Die Studenten lebten im Ateliergebäude, auch Prellerhaus genannt, und trafen sich in der Mensa oder nutzten den Gymnastikraum. In den nur wenige Meter entfernten Meisterhäusern hingegen lebten die Meister mit ihren Familien. Darunter einige der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts: Walter Gropius, Oskar Schlemmer, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee. So avancierte das Ensemble der Meisterhäuser zum Inbegriff der Künstlerkolonie. Nachdem Walter Gropius 1928 die Leitung der Hochschule an Hannes Meyer übergibt, rückt dieser den sozialen Anspruch des Bauhauses in den Fokus. Ihm geht es vor allem um die Frage, wie gut gestaltete Produkte und Bauten so geschaffen werden können, dass sie für alle erschwinglich sind.

Neben der Volkswohnung waren vor allem die Laubenganghäuser …

… und die ADGB-Bundesschule in Bernau architektonische Beispiele von Meyers Idee einer kollektiven Gestaltung mit sozialem Anspruch. Unter Hannes Meyer radikalisierten sich die Studenten politisch und engagierten sich für den Kommunismus. Die Politik entließ daraufhin Meyer im Jahr 1930. Walter Gropius selbst war es, der Mies van der Rohe als dritten Direktor empfahl. Unter ihm wurde der Vorkurs abgeschafft und die Werkstattarbeit reduziert. Architektur, konstruktive Logik und räumliche Freiheit rückten in den Fokus. In der Dessauer Stadtversammlung hatten inzwischen die Nationalsozialisten die Mehrheit erreicht. Am 30. September 1932 beschloss die Dessauer Stadtversammlung die Schließung der Hochschule für Gestaltung in Dessau. Mies van der Rohe führte das Bauhaus noch für ein weiteres Semester in Berlin-Steglitz als Privatinstitut weiter, bevor er nach vielfachen Querelen mit den Nationalsozialisten am 10. August 1933 in einem Rundschreiben die Auflösung des Bauhauses bekannt gab. Aber der Samen für den weltweiten Einfluss der Bauhaus-Schule war gesetzt, und das Exil vieler Professoren gerade in den USA sorgte für eine Verbreitung im architektonischen Bereich. Die DDR entdeckt das Bauhaus-Erbe erst 1976 wieder. Sie rekonstruiert das Gebäude denkmalgerecht. Nach der Wiedervereinigung wird im Jahr 1994 die Stiftung Bauhaus Dessau gegründet, die bis heute das Erbe in Form der Bauten, der Sammlung und der Vielfalt der Themen zu Architektur, Design und Kunst erforscht, erhält und vermittelt.

So ist das Bauhaus auch ein Zeugnis …

… von 100 Jahren deutscher Geschichte, und dieses Jubiläum wird überall in Ausstellungen und Veranstaltungen gewürdigt und gefeiert. Natürlich vor allem vor Ort in Dessau. Die ganze Stadt wird von diesen Feierlichkeiten durchdrungen und findet einen Höhepunkt in der Eröffnung des Bauhaus-Museums Dessau am 8. September. Zum ersten Mal kann in diesem Gebäude, das die klassischen Bauten der Institution architektonisch verbindet, die umfangreiche Sammlung der Stiftung würdig ausgestellt werden. Das Konzept des spanischen Architekten-Kollektivs „addenda“ sieht einen transparenten Korpus vor, der die schwebende Black Box als Ort für die Sammlung und das Erdgeschoss als offene Bühne für zeitgenössische Positionen und Wechselausstellungen umfasst. Alles was hier geschieht und Dessau zum Anziehungspunkt für Kunstinteressierte macht, kann man unter www.bauhaus-dessau.de erfahren.

Die Verbindung unserer Stadt mit dem Bauhaus …

… ist vor allem mit der Person Wassily Kandinsky gegeben, der gemeinsam mit Franz Marc und Gabriele Münter die künstlerische Avantgarde vor dem ersten Weltkrieg prägte und mit seinen abstrakten Werken eine neue Ära der Malerei einleitete. Ein Grund, wieder einmal im wundervollen Franz Marc Museum vorbeizuschauen, wenn ab dem 13. Oktober dort der Blaue Reiter mit der Ausstellung „Das Moment der Abstraktion“ gefeiert wird. In München selbst wird man, was das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses angeht, das ganze Jahr über in der Pinakothek der Moderne fündig. Die Neue Sammlung zeigt hier eine Ausstellung, die die gegenwärtige Bedeutung der Reformschule bespricht und auf die eigene historische Verbundenheit mit dem Bauhaus hinweist. Erstmals werden historische Objekte aus dem eigenen Bestand in München gezeigt. In Kooperation mit dem Künstler Tilo Schulz entsteht eine Rauminstallation, die 40 historische Objekte und fünf zeitgenössische Rezeptionen miteinander verschränkt. Die Künstlerinnen und Künstler – die Designerin Ayzit Bostan, die Lyrikerin Barbara Köhler, die Architektin Anupama Kundoo, der Komponist Junya Oikawa und die Künstlerin Sofie Thorsen – entwickeln eine eigenständige Arbeit durch den Dialog mit je einem BauhausObjekt.

Das Bauhaus sollte im Sinne seiner Gründer nie ein elitärer, abgehobener Elfenbeinturm sein.

Es war eine lebendige Schule, die immer die Anforderungen für ein würdiges und modernes Leben der Menschen im Blick hatte. So ist es nur konsequent, das gerade die Münchner Volkshochschule ein umfangreiches Programm zu diesem Jubiläum zusammengestellt hat. Zu allen Bereichen von Fotografie, Kunst, Architektur und Design gibt es hier 2019 eine Unmenge an Vorträgen, Filmen, Führungen und Ausstellungen. Highlight ist dabei eine geführte Exkursion nach Dessau und Weimar. Fünf Tage mit vier Übernachtungen vom 11. bis 15. September stehen zur Verfügung, um unter fachkundiger Leitung das gesamte Spektrum eingehend kennenzulernen. Nähere Infos hierzu und dem gesamten Programm sind unter www.mvhs.de zu entdecken. Selten gibt es ein Kulturereignis, dass eine so breite bundesweite Veranstaltungswelle hervorruft. Daran lässt sich ermessen, wie prägend und wichtig das Bauhaus bis heute in der Geschichte gerade des demokratischen Deutschlands ist. Gestaltung ist eben nicht nur ein materieller Akt, um konkrete Dinge herzustellen, sondern im besten Fall auch ein Ausdruck freien Denkens und innigem Wunsch nach gesellschaftlicher Utopie. Ziele, die die Gründer 1919 verfolgt und, obwohl sie nur zwei Jahrzehnte arbeiten konnten, im Bauhaus verwirklicht haben. So stark ist immer noch ihr Einfluss, dass die Arbeiten auch heute noch aktuell und jung sind.